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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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im Haus! Dazu meinte es der Himmel gut mit
allen; es war sternenklar und nicht zu kalt. „Also dann, gute Nacht, liebe
Pilgerbrüder und -schwestern!“

24.
Die Templerstadt Ponferrada und weitere Höhen und Tiefen
     
    Am
nächsten Morgen stellte ich fest, dass mein Klebeverband für die Füße nicht
mehr ausreichte. Die Rolle war leer! So ein Mist! Würde ich überhaupt ohne
Verband laufen können? Meine Füße, besonders der linke mit dem Hallux , waren schon ganz wundgelaufen und ich hatte trotz
aller Pflege auch wieder einige Blasen. Ein Tag Pause würde bestimmt gut tun,
aber ich musste ja meinen Plan einhalten. In zehn Tagen wollte ich in Santiago
sein! Ich versuchte mit den Unmengen an anderem Pflaster, das ich dabei hatte,
meine Problemstellen abzukleben, um nicht noch mehr Reibung zu erzeugen, aber
schon bald spürte ich, dass das nicht funktionierte.
    Die
acht Kilometer bis Ponferrada aber musste ich schaffen. Diese Stadt hatte mehr
als 60.000 Einwohner, da dürfte es wohl kein Problem sein, eine Apotheke zu
finden! Doch dieser Tag hatte es in sich! Nach zwei Stunden auf dem Jakobsweg,
der fast immer in unmittelbarer Nähe der Landstraße entlang führte, erreichte
ich endlich die ersten Häuser der Stadt. Schon lange hatte ich mich darauf
gefreut, mir die berühmte Templerburg von Ponferrada anzuschauen, aber wie
enttäuscht war ich, als ich nun davor stand! Sie war vollkommen eingerüstet und
man konnte nur an den Umrissen erkennen, wie mächtig sie noch heute ist. In
meinem Pilgerführer wird sie als eines der bedeutendsten Zeugnisse
mittelalterlicher Militärarchitektur beschrieben. Die Burg wurde im zwölften
und dreizehnten Jahrhundert von den Templern erbaut und sollte den Pilgern den
Weg und die Brücke über den Fluss Sil sichern.
    Während
ich in Gedanken an die Filme über die Tempelritter versunken die hohen, glatten
Mauern mit ihren Türmen und Zinnen betrachtete, drangen mir plötzlich deutsche
Worte ans Ohr. Ich drehte mich um: Raimund mit seiner Reisegruppe! Er erzählte
gerade die Geschichte der Tempelritter und ich hörte gespannt zu. „Der
Templerorden wurde 1118 von Kreuzrittern in Jerusalem zum Schutz der heiligen
Stätten und Pilgerwege gegründet. Die Templer waren meist Ritter und Mönche
zugleich, innerhalb weniger Jahrzehnte kontrollierten sie aber auch das Finanz-
und Transportwesen der christlichen Welt. In ihrer Rolle als Bankiers
verwalteten sie beispielsweise auch das Geld wohlhabender Pilger, die auf diese
Weise vor Überfällen sicherer waren und unterwegs an den Stützpunkten des
Templerordens sozusagen Geld abheben konnten. Wie man sich denken kann, war
diese steigende Macht der Kirche ein Dorn im Auge und so wurde der Orden 1307
bereits wieder verboten. Dabei wurde den Templern zum Verhängnis, dass sie
geheimnisvolle Rituale praktizierten, die es ihren Gegnern leicht machten,
ihnen Satanskult und Hexerei vorzuwerfen.“
    Ich
musste an den Einsiedler Tomás in dem verlassenen Bergdörfchen Manjarín denken,
der das Vermächtnis der Templer erhalten wollte und mit vielen Anfeindungen zu
kämpfen hat.
    Eigentlich
ist es unverständlich, dass in der heutigen aufgeklärten Welt noch Menschen
verurteilt werden, nur weil sie nicht der Norm entsprechen. Tomás selbst bietet
Unterkunft und Essen für die Pilger nur auf Spendenbasis an. Was kann daran
falsch sein, selbst wenn er bestimmte Rituale pflegt? Jede Religion pflegt ihre
Rituale und diese können selbst in einer Familie, der kleinsten Zelle der
Gesellschaft, eine wichtige Kraft und Sicherheit spendende Basis im Leben
darstellen, glaube ich. Entscheidend ist doch nur, dass es jedem Einzelnen
freigestellt ist, sich daran zu beteiligen oder nicht.
    Der
Jakobsweg bietet für jeden Pilger in reichem Maße etwas. Geschichte, Kultur und
Natur. Einsamkeit und Geselligkeit. Die Buspilger bekamen sicher mehr an Kultur
und Geschichte zu sehen und zu hören. Aber die einsame Natur erlebte ein
Einzelpilger wohl intensiver. Ich war froh, ein Einzelpilger zu sein. Wenn ich
auch manchmal gern mehr über bestimmte Bauwerke erfahren hätte, wie zum
Beispiel über diese Templerburg, so war mir die Zeit für meinen eigenen Weg
doch noch wichtiger. Wer sich mehr für die Sehenswürdigkeiten interessiert, der
müsste seinen Weg wahrscheinlich schon etwas anders planen, als ich es getan
hatte.
    So
ließ ich dieses Relikt der Vergangenheit hinter mir und setzte mich erst einmal
in ein Café, um meine Schuhe auszuziehen und kurz aufzutanken.

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