Das Leben in 38 Tagen
berühmtesten Pilgerweg, den Camino Francés,
zu erfahren und man fühlt sich sehr berührt, wenn man über die vielen Menschen
nachdenkt, die seit Karl dem Großen diesen Weg gegangen sind. Jeder Mensch mit
seinen eigenen Sehnsüchten und Hoffnungen, seinen eigenen Erfahrungen und
Enttäuschungen, aber alle mit dem Wunsch, etwas in ihrem Leben zu verändern.
Pilgern heißt, sich auf den Weg machen, nicht stehen zu bleiben, etwas selbst
zu tun. In dem Buch „Der Schwarm“ schreibt Frank Schätzing: „Wenn du dich
ständig nur im Kreis drehst, was machst du dann am besten? Durchbrich den
Kreis. Tu etwas, das dich wieder auf geraden Kurs bringt. Etwas, bei dem du
nicht die anderen forderst, sondern dich selbst. Tu etwas Ungewöhnliches!“
Diese
Gedanken habe ich gelesen, als ich genau dieses Gefühl hatte, mich immer nur im
Kreis zu drehen. Man sagt ja, dass man zur richtigen Zeit auf das richtige Buch
stößt oder auf die richtigen Menschen. Es hat mich jedenfalls in meinem
Vorhaben bestärkt, diesen Weg zu gehen.
6.
Werner, Puente la Reina und Lorca oder Begegnungen der besonderen Art
Mit
Werner redete ich wenig über tiefgründige Dinge. Ich glaube, er war mehr ein
sachlicher Mensch. Mittelgroß, kräftig, mit braunen, lustigen Augen und
lockigen braunen Haaren wirkte er nicht unsympathisch, aber auch nicht
besonders interessant auf mich. Ich hatte den Eindruck, dass er in seinem
Inneren nichts verändern wollte, er stellte nichts in Frage, sondern ließ sich
eher alles aus der Nase ziehen.
Werner
war ein paar Jahre älter als ich und betrieb eine Versicherungsagentur. Von
seiner Frau hatte er sich getrennt, weil sie Alkoholikerin geworden war, und
ich vermisste ein wenig eigene Schuldgefühle. Vielleicht war ich auch wieder
nur zu anspruchsvoll, was schon immer ein Problem für mich darstellte. Wollte
ich denn wirklich, dass die anderen mir ihr Seelenleben offenbarten?
Schließlich hatte ich genug mit mir selbst zu tun und wollte deshalb ja sowieso
auf Dauer lieber allein laufen.
Am
heutigen Tag aber lief ich erst einmal mit meinem österreichischen Bekannten
weiter und wir erreichten zusammen einen der berühmtesten Orte des Jakobsweges:
Puente la Reina, auf Deutsch: „Brücke der Königin“. Er wurde benannt nach der
wunderschönen Brücke, die hier im elften Jahrhundert im Auftrag der Königin von
Navarra gebaut wurde, um den Pilgern die Flussüberquerung des Rio Arga zu erleichtern. Nun sah
ich also das kleine muntere Flüsschen wieder, das Martin und mich schon
zwischen Zubiri und Pamplona begleitet hatte und das inzwischen zu einem
stattlichen Fluss angewachsen war. Auf der Brücke stehend kam mir der Gedanke,
wie faszinierend es doch immer wieder ist, Flussläufe zu verfolgen und dabei zu
beobachten, welche Veränderung allein durch die ständige Bewegung des Wassers
stattfindet. Ähnlich der Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen fließt ein
kleiner Bach sprudelnd und ungestüm, als ob er es nicht erwarten kann, größer
zu werden. Doch je größer oder älter er nach Überwinden vieler Hindernisse und
der Vereinigung mit anderen Bächen wird, umso ruhiger und tiefer wird er...
In
der kleinen, malerischen Stadt besichtigten wir die romanische Kirche des
Kreuzes, deren besonderes Y-förmiges Kruzifix im vierzehnten Jahrhundert im
Rheinland angefertigt wurde, sowie das klosterartige Priesterseminar mit dem
typischen Innenhof und dem mediterranen, gut gepflegten Garten. Danach füllten
wir in winzigen Geschäften entlang der uralten, gepflasterten Pilgerstraße
unsere Lebensmittelvorräte auf, wobei es uns schwer fiel, den kleinen,
einladenden Cafés zu widerstehen.
Einige
Kilometer hinter dem Städtchen ging es durch aufgeweichten, schlammigen Lehmboden
teilweise wieder sehr steil bergauf, ehe wir kurz vor dem Örtchen Mañeru auf
der neu angelegten breiten Nationalstraße landeten. Zum Glück durften wir diese
viel befahrene Straße, die die Radfahrer bis hierhin nehmen mussten, gleich
wieder verlassen und gelangten bald darauf über schöne Feldwege durch eine
hügelige Landschaft in den nächsten Ort: Cirauqui. Dieser liegt romantisch auf
einem Hügel und umrahmt mit seinen eng aneinandergeschmiegten Häuschen seinen
höchsten Punkt, der aussieht wie eine mittelalterliche Burg, was sich aber
später nur als alte Kirche herausstellte .. Da es
inzwischen später Mittag war und die Sonne brannte, beschlossen wir, nun
endlich einmal einzukehren und in einem Restaurant zu essen.
Im
Unterschied
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