Das Leben in 38 Tagen
zu Deutschland sind in Spanien außer der Siestazeit ,
wo sowieso meistens alles geschlossen ist, zu jeder Tageszeit Restaurants und
Cafés auch von Einheimischen gut besucht. In diesem Restaurant waren fast alle
Tische besetzt, vorwiegend von Bauarbeitern, an deren Baustelle im Ort wir
gerade vorbeigekommen waren. Aber auch einige Bauern und Familien mit Kindern
aßen hier zu Mittag. Es schien ein freundlicher Familienbetrieb zu sein, wo gut
und günstig gekocht wurde.
Wir
bestellten das obligatorische Pilgermenü, bestehend aus drei Gängen, sowie
Wasser und Rotwein. An den Wein konnte man sich direkt gewöhnen, er schmeckte
überall hervorragend und ließ die Nähe des Rioja-Weinanbaugebietes ahnen.
Allerdings hatte ich bei dieser Hitze und der körperlichen Anstrengung mehr
Durst auf Wasser. Umso erstaunter stellte ich fest, dass Werner damit gar kein
Problem hatte. Während ich ein Glas Rotwein trank, leerte er die restliche Flasche...
Nach
dem Hauptgang — ich aß Thunfisch mit Tomatensoße und mein Begleiter Steak mit
Pommes —, ließen wir es uns richtig gut gehen und bestellten zum Nachtisch noch
jeder ein großes Stück Torte und Kaffee. Wer so viel läuft, darf auch
ordentlich essen! Inzwischen hatten die Bauarbeiter das Lokal wieder verlassen,
aber auf den Tischen standen noch immer die halb geleerten Rotweinflaschen. Ich
fragte mich, was wohl damit passieren würde. Der gute Rotwein schien hier
genauso selbstverständlich zum Essen dazuzugehören wie das Wasser. Ich würde
mir wünschen, dass es in Deutschland genauso wäre!
So
gut es uns nun in diesem Restaurant und seinem Dorf auch gefiel, nach einer
guten Stunde mussten wir weiterziehen. Wir hatten heute erst zehn Kilometer
zurückgelegt, und wenn wir weiter so trödelten, würden wir wohl nie in Santiago
ankommen. Also gaben wir uns und unseren Rucksäcken einen Stoß und verließen in
der hellen Sonne den schönen Ort. Auf einer alten Römerstraße und über eine
eindrucksvolle, halb verfallene Römerbrücke traten wir weiter in die Spuren
Tausender Pilger vor uns.
Im
Gegensatz zu den vorangegangenen Etappen ließ sich der heutige Weg bis auf das
relativ kurze steile Teilstück doch recht gut laufen. Trotzdem fühlte ich mich
ganz schön fertig und nicht in der Lage, noch siebzehn Kilometer bis Estella zu
gehen, dem nächsten größeren historischen Städtchen.
Heute
war mein sechster Wandertag und ich hatte schon über hundert Kilometer
zurückgelegt. Mein Plan sah eigentlich 25 Kilometer pro Tag vor und einen Tag
Pause in der Woche. Vielleicht sollte ich lieber nur zwanzig Kilometer laufen
und dafür jeden Tag?
Den
Rückflug hatte ich schon für den 19. Mai gebucht, weil ich einer Schulfreundin
vor längerer Zeit versprochen hatte, an ihrem fünfzigsten Geburtstag dabei zu
sein. Und der war nun mal am 20. Mai, einem Sonntag. Diesen Termin würde ich
auf jeden Fall einhalten, und wenn ich zwischendurch mit dem Bus fahren müsste!
Aber natürlich wollte ich lieber die gesamte Strecke laufen, ohne Hilfsmittel
zu benutzen. Ich wollte ein richtiger Pilger sein, einer, der sein Gepäck immer
selbst trägt, der läuft, ohne zu schummeln, und fast immer in Herbergen
schläft...
Nach
weiteren sieben Kilometern erreichten wir Lorca, ein gepflegtes
mittelalterliches Dörfchen auf einem Hügel, ähnlich dem Ort, wo wir Mittag
gegessen hatten. Überhaupt ähnelten sich die Dörfer hier sehr. Alle schienen
schon sehr alt zu sein, die Häuser bestanden zumeist aus graubraunem
Naturstein, genau wie die Kirchen, die es fast in jedem Ort gab. Die Dächer
waren mit grauen, schieferartigen Ziegeln gedeckt. Blumen schmückten die
Fensterbänke und Vorgärten und freundliche Menschen wünschten: „Buen camino“,
was uns Pilgern immer wieder Auftrieb gab.
In
Lorca empfingen uns gleich zwei einladende Privatherbergen, die sich
kurioserweise genau gegenüberlagen. Die Hauptstraße des Ortes war so schmal,
dass gerade ein Auto hindurch fahren konnte. Von den Balkons der einen Herberge
zu den Balkons der anderen Herberge hätte man sich fast die Hände reichen
können und vor beiden Häusern saßen müde Pilger auf den Stühlen und tauschten
ihre Erfahrungen quer über die Straße aus. Und wessen auffallend buntes Hemd
leuchtete mich schon von weitem an? Das konnte doch nur mein alter Bekannter
Alfred sein! Also hatte er es doch bis hierher geschafft und war damit nicht
schlechter als ich. Hut ab! Ich war erfreut, ihn wiederzusehen, aber er schien
schon wieder
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