Das Leben in 38 Tagen
eine rosa Leuchtschrift entgegen, die hier völlig fehl
am Platz schien. Eigentlich war es ein irres Bild, als uns kurz vor diesem Ort
ein einzelner Pilger überholte, der ein großes Pilgerkreuz an einem
ungewöhnlich langen Wanderstab vor sich hertrug und genau auf diese komische
Leuchtschrift zulief. Es wirkte bestimmt wie eine merkwürdige kleine Prozession
für die Autofahrer, als wir kurzzeitig auf der Hauptstraße hinter dem großen
Mann mit dem Kreuz hergingen. Das allein wäre schon ein Foto wert gewesen.
13.
Vier „einsame“ Pilgerfrauen
Die Pilgerherberge lag zum Glück abseits
dieser Häuser und bestand aus einem langen, einfachen Flachbau inmitten eines
schönen Obstgartens. Im vorderen Teil des Hauses wohnten die Vermieter, eine
sehr freundliche junge Familie mit zwei Kindern, die uns gleich herzlich
empfing. Das ältere Mädchen lernte Deutsch in der Schule und war sehr stolz,
etwas übersetzen zu können. Eigentlich bot diese Herberge für etwa 25 Pilger
Platz, aber außer uns hatten bis jetzt nur noch drei deutsch-österreichische
Männer und drei englisch sprechende Frauen den Weg hierher gefunden, was uns
natürlich sehr entgegenkam.
Alles machte einen gepflegten Eindruck; wir
konnten unsere Wäsche im Garten aufhängen und uns nach dem Duschen dort
hinsetzen und ausruhen. Abseits der Hauptstraße umfing uns hier beschauliche
Ruhe, ein richtig schöner Sonntagabend, den wir genossen und der uns wieder
Anlass zur Dankbarkeit bot, auch wenn es heute keine Messe gegeben hatte. Aber
die hatte ich ja gestern in Azofra erlebt. Übrigens war mir dort in der Kirche
eine sehr schöne Holzfigur des heiligen Jakobus aufgefallen, die ihn als
sanften Pilger mit Pilgerstab darstellte und die mir besser gefiel als die
Steinfigur des kämpfenden Ritters in Logroño...
Das Abendessen und das Frühstück am
nächsten Morgen wurden von der Hausherrin liebevoll zubereitet. Zum Abendessen
gab es wieder drei Gänge für nur sechs Euro, während die Übernachtung auch nur
sechs Euro kostete. Nach dem Essen wollte ich endlich einmal mit meinem Mann
telefonieren, der noch gar nichts von meinem Sturz wusste, aber es gab weder im
Haus noch im ganzen Ort ein Telefon! Dies fand ich sehr erstaunlich, zumal die
Familie mir gern helfen wollte und mich sogar extra mit ihrem Auto etwa zwei
Kilometer weiter in eine Bar fuhr. Aber auch dort hätte ich nur innerhalb
Spaniens anrufen können und so fuhren wir unverrichteter Dinge wieder zurück.
Das Angebot des Hausherren, mich noch nach Belorado zu
fahren, lehnte ich dankend ab. Ich würde es dann lieber selbst am anderen Tag
dort probieren. Ehrlich gesagt, hatte ich es mir mit dem Telefonieren in
Spanien einfacher vorgestellt. Wenn es einmal ein öffentliches Telefon gab, war
mein Mann nicht zu erreichen, wie heute Vormittag in Santo Domingo de la
Calzada, und abends gab es in den kleinen Orten oftmals kein Telefon.
Mal sehen, was der morgige Tag bringen
würde! Jeder Tag war spannend und voller Überraschungen. Es wurde nie
langweilig. Im Gegenteil, man hatte Mühe, die vielen Eindrücke zu verarbeiten.
Und ich hatte eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Es gab nicht alles im
Überfluss und wir waren doch satt! Völlig satt und zufrieden! Nach jedem
anstrengenden Tag konnte man das abendliche Zusammensitzen, die Augenblicke der
Ruhe, das Vogelgezwitscher, die Baumblüte und das angenehme Abschwellen der
Füße doppelt so intensiv erleben.
Der strahlende Sonnenschein am nächsten
Morgen bedeutete den achten Sonnentag meiner nunmehr zwölf Wandertage. Was
hatten wir doch für ein Glück mit dem Wetter! Da konnte uns selbst der
staubige, kahle Feldweg, der uns bis zum nächsten Ort neben der Nationalstraße
entlangführte, nicht die gute Laune verderben. Die LKW-Fahrer hupten und
winkten uns zu und wir fühlten uns mit unseren Rucksäcken und unserem
Pilgeroutfit stolz und auch ein bisschen verwegen.
Belorado entpuppte sich als ein hübsches
kleines Städtchen und wirkte im Gegensatz zu den Dörfern ringsum gar nicht
ärmlich. Um einen riesigen Marktplatz mit einem freskenverzierten Brunnen in
der Mitte drängten sich schmale, blumen- und balkongeschmückte Häuser, in deren
unteren Etagen Geschäfte, Hotels und Restaurants mit großen Schaufenstern
lockten. Überall standen Bänke, Blumenrabatten und grünende Bäume. Nur die
Platanen hatten kaum Blätter. Man konnte sich aber gut vorstellen, wie ihre
silbergrauen Äste, die sich an die braunen Palisaden schmiegten, im
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