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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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kann es den Menschen verübeln,
ihre Heimat zu verlassen? Wenn sie sich ein besseres Leben an einer anderen
Stelle erhoffen, ein Leben mit mehr Anerkennung, Erfolg und vielfältigen
Möglichkeiten, sich zu entwickeln und Geld zu verdienen?
    Zu bewundern sind eigentlich die Leute, die
trotz allem hier bleiben und versuchen, aus ihren wenigen Möglichkeiten das
Beste zu machen... In diesem Zusammenhang fiel mir Jutta ein, die
österreichische Hospitalera in Cirueña, die genau die umgekehrte Richtung
gegangen war, nämlich aus dem Überfluss zurück in die bescheidene Einfachheit.
Sie hatte beides erlebt, in Argentinien die Armut und in Österreich die
Überflussgesellschaft. Sie wusste, worauf sie sich einlassen würde, und sie
hatte die Möglichkeit, sich zu entscheiden, was nicht allen Menschen gegeben
ist. Irgendwo hatte ich mal gelesen: „Es ist alles da, im Überfluss, und macht
doch nicht satt!“ Dieser Satz hat mich sehr berührt, denn was macht den
Menschen wirklich satt?
    Ich denke, dass jeder Mensch ein Recht auf
grundlegende Dinge haben sollte. Dazu gehört, keinen Hunger leiden zu müssen,
sauberes Trinkwasser, eine menschenwürdige Unterkunft sowie die Möglichkeit für
Bildung und medizinische Betreuung zu haben. In vielen Ländern der Welt ist
dies für die dort lebenden Menschen keine Selbstverständlichkeit, sondern eher
eine Utopie. Wenn es aber für sie in ihrer Heimat keine Möglichkeit gibt, diese
Grundrechte zu erlangen, warum sollte es ihnen dann verwehrt werden, in einem
anderen Land nach dieser Möglichkeit zu suchen? Woher nimmt unsere reiche
Industriegesellschaft eigentlich das Recht, die armen Länder auszubeuten, die
dortigen Bodenschätze abzubauen ohne Rücksicht auf die Umwelt und die
Lebensbedingungen der Einheimischen, während sie gleichzeitig den dort lebenden
Menschen jeglichen Anspruch auf die Menschenrechte und den Reichtum ihres
Landes versagt? Wenn ich zum Beispiel an die skrupellose Erdölförderung in
Nigeria denke oder den Diamantenabbau in Namibia, könnte ich so wütend werden,
weil die Menschen, denen die Bodenschätze eigentlich gehören, um das nackte
Überleben kämpfen müssen, während der Reichtum ihrer Länder ins Ausland geht
und die Reichen noch reicher macht.
    Auf der anderen Seite ist es wieder
auffallend, wie gerade in den Entwicklungsländern die Lebensfreude höher zu
sein scheint als in den reichen Ländern. Es wirkt auf mich so, als ob dort mehr
gelacht, getanzt und gesungen wird. Immer wieder, wenn man mit dem Flugzeug aus
dem Urlaub kommt, stellt man spätestens in der S-Bahn in Frankfurt fest, wie
ernst und desinteressiert am anderen die Menschen speziell in Deutschland doch
sind. Die Gesichter wirken größtenteils sorgenvoll und abgespannt. Eigentlich
ist alles da im Überfluss, aber macht es etwa doch nicht satt?
    Ich persönlich habe noch nicht
festgestellt, dass mehr Geld auch gleichzeitig mehr Glück bedeutet. Als ich mit
meinem Mann und unserem kleinen Sohn zu Beginn unserer Beziehung für mehrere
Jahre in einem Zimmer im Schwesternwohnheim gewohnt habe und wir uns wirklich
nur das Nötigste kaufen konnten, waren wir nicht unglücklicher als jetzt, wo
wir uns vieles leisten können. Es muss etwas anderes sein, etwas, was man nicht
kaufen kann. Etwas, das auch hier auf dem Weg zu liegen scheint...
    Ja, so allein kommt man doch ins
Philosophieren, und als ob Gott mich weiter davor bewahren wollte, traf ich im
nächsten Dorf drei altbekannte Pilger wieder, die gerade vor einer Bushaltestelle
im Schatten saßen und lagen.
    „Hallo, immer dieselben! Es scheint so, als
ob wir wirklich ein Stück zusammen gehen sollten!“, sagte ich, als ich näher
kam. Edith, Simone und Irene war die Freude anzumerken, mich wiederzusehen.
    „Ja, das scheint wohl so zu sein. Wir
wollen noch bis Villamayor, da soll es eine gute Herberge geben, und du?“
    Eigentlich hätte ich gerne in Belorado
übernachtet, das eine ähnlich schöne Kleinstadt wie Santo Domingo de la Calzada
sein sollte, aber das wären noch einmal fünf Kilometer mehr gewesen und meine
Füße und Schultern sprachen sich dagegen aus.
    „Ich glaube, ich gehe doch lieber mit euch,
eine kleine Herberge ist sicher auch besser als die große in Belorado!“, ließ
ich mich gern überzeugen und so liefen wir die letzten Kilometer für heute
zusammen weiter.
    Villamayor lag im Tal und stellte sich als
ein winziges Nest heraus. Schon von weitem flimmerte uns von einer Art Motel
oder einem dubiosen Club

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