Das Leben in 38 Tagen
Traurigkeit hörte auf, zu weinen. Sie
richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin. „Aber...
aber... wer bist du eigentlich?“
„Ich?“, sagte die kleine alte Frau
schmunzelnd, und dann lächelte sie wieder so unbekümmert wie ein kleines
Mädchen, „ich bin die Hoffnung.“
Die ersten Häuser von Frómista begannen
gleich hinter der Schleuse und daneben befand sich auch schon die eine der drei
Kirchen des kleinen Ortes. Diese Tatsache war insofern erstaunlich, da das
Dorf, welches wie eine kleine Stadt wirkte, nur etwa tausend Einwohner zählte.
Der Reiseführer bestätigte meine Vermutung, dass der Ort schon seit der
Römerzeit existierte und in früherer Zeit eine große Bedeutung hatte, aber
durch den Arabereinfall entvölkert wurde. Auch heute noch gibt es Geschäfte,
Restaurants, Apotheken und Banken.
Das Bedeutendste an Frómista aber ist die
Kirche San Martin aus dem elften Jahrhundert. Sie wurde genau wie die berühmte
Brücke von Puente la Reina von der Frau des Königs Sancho III. nach dessen Tod
in Auftrag gegeben und diente ursprünglich als Kloster. Neben der bestechenden
äußeren Harmonie des Bauwerks, das aus mehreren runden und eckigen Türmen sowie
drei halbrunden Apsiden aus gelben Steinquadern besteht, beeindruckt der
Skulpturenschmuck innerhalb und außerhalb der Kirche. An den Dachbalkenkonsolen
der zweifach gestaffelten verschiedenen Dächer befinden sich mehr als 300
Skulpturen, die alles Mögliche und Unmögliche darstellen, über verschiedene
Tiere, Blumen, Ornamente bis hin zu Fratzen, Dämonen und unvorstellbar
verbogenen Figuren. Mir kam der Gedanke, dass diese Skulpturen eher zu
heidnischen Kulturen passen würden. Was dies alles bedeuten sollte, wussten
wohl nur die damaligen Bildhauer selbst. Vielleicht sollten sie den Teufel
abschrecken oder einfach nur die ungebildeten Menschen in Angst und Ehrfurcht
erstarren lassen. Mir blieb nur die Hochachtung für die Baukunst und das Wissen
der damaligen Baumeister, vor allem aber die Dankbarkeit, diese interessanten
Zeugnisse vergangener Kulturen in so vielfältiger Weise auf diesem Weg erleben
zu dürfen.
Auf einem großen Platz in der Nähe der
Kirche standen einige Tische und Stühle bereit und ich beschloss, den Ort noch
ein bisschen zu genießen. Mittlerweile wechselten sich Sonne und Wolken wieder
ab und es war angenehm, draußen zu sitzen. Wenn es der Platz erlaubt, braucht
ein Pilger immer zwei Stühle, einen für den Hintern und einen für die Beine.
Und vielleicht noch einen für den Rucksack und die feuchte Regenjacke! Also am
besten gleich einen ganzen Tisch mit vier Stühlen.
Diesen Luxus konnte ich heute genießen, während ich meine schon obligatorische
Cola und später einen Milchkaffee trank und etwas Kuchen aß.
Von hier aus hatte ich einen wunderschönen
Blick auf den Ort und seine Kirchen. Find nun sah ich auch, woher das Klappern
kam, das ich schon die ganze Zeit gehört hatte. Fast auf jedem der vielen
Kirchtürme befand sich ein Storchennest mit einem oder mehreren Störchen und in
dem mir am nächsten liegenden standen die jungen Störche und klapperten so laut
mit ihren Schnäbeln, dass man schon beim Zusehen Freude empfand. Zum ersten Mal
erlebte ich nun so richtig, warum der Storch Klapperstorch heißt. In
Deutschland freut man sich schon, wenn man einmal ein Storchenpaar sieht, und
hier konnte man sie schon fast nicht mehr zählen!
Inzwischen war es Nachmittag geworden und
die anderen Tische füllten sich nun ebenfalls mit Gästen. Auf einmal standen
die drei irischen Krankenschwestern neben mir. Ich hatte mich schon gewundert,
bisher so wenig Bekannte getroffen zu haben. Lachend erzählten sie, dass sie
schon eine gute Unterkunft in der Herberge im Ort klargemacht hätten und ob ich
nicht auch Lust hätte, hier zu bleiben.
Gerade als ich über diese Möglichkeit
nachdachte, sahen wir zwei voll besetzte Reisebusse in die Straße zur Herberge
einbiegen und sofort fiel mir ein, was die geschwätzige Elli heute früh erzählt
hatte. Ihre Reisegruppe wollte in Frómista Station machen. Sicher würde sich
jetzt ein Schwall von Tagespilgern in die Kirche und in den Ort ergießen und
darauf hatte ich absolut keine Lust. Damit stand mein Plan für heute fest. So
gut mir Frómista auch gefallen hatte, mit den vielen Menschen gefiel es mir
hier nicht mehr. Ich wollte weiter und verabschiedete mich von den netten Iren. „Sorry, too many
people are here, bye, my friends !“ , sagte ich
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