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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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Dann würde ich einen Plan für
die restlichen Tage machen und mit Gottes Hilfe würde ich mein Ziel erreichen!
    Eine ältere Pilgerin mit flottem
Kurzhaarschnitt und offenem, intelligentem Gesicht setzte sich zu mir und wir
kamen ins Gespräch. Sie hieß Elke, war seit kurzem pensionierte Lehrerin und
stammte aus Hamburg. Sie hatte neben ihrer Arbeit auch noch ihren kranken Mann
bis zu seinem Tod gepflegt und wollte nun einmal intensive Zeit nur für sich
haben. Elke wirkte auf mich sehr couragiert und sachlich, dabei freundlich und
aufmerksam, so wie ich mir einen guten Lehrer vorstelle. Dabei komme ich
wahrscheinlich auch deshalb meistens gut mit Lehrern aus, weil ich in einer
Lehrerfamilie groß geworden bin und mich so leichter in deren Lage
hineinversetzen kann.
    Das
kann ich sogar zu gut; mich in einen anderen Menschen hineinversetzen, und das
ist nicht immer zu meinem Vorteil. Wenn man dabei nämlich beginnt, sich auch
die Gefühlswelt des anderen vorzustellen, läuft man Gefahr, mitzuleiden und
sich selbst zu schaden. Damit stellt man dann natürlich auch keine Hilfe mehr
für den anderen dar, aber Elke brauchte zum Glück weder Mitleid noch Hilfe. Sie
wollte sich eben noch die Kirche ansehen, denn sie hatte viel Zeit, wie sie
sagte. Für sie sollte der Weg das Ziel sein. Elke hatte sich ohne Zeit- und
Streckenvorgabe auf den Camino gemacht und wollte alles auf sich zukommen
lassen, ohne sich dabei von anderen sehr beeinflussen zu lassen. Ich
verabschiedete mich von der sympathischen Norddeutschen. „Buen camino, peregrina !“
    Kurz
vor Carrión de los Condes kam ich mit einem rüstigen Schweizer ins Gespräch,
der heute noch die siebzehn Kilometer bis zum nächsten Ort weiterlaufen wollte.
Er wunderte sich, dass ich allein lief, und damit war er nicht der Erste.
    Dann
erzählte er, dass er eigentlich zu zweit unterwegs sei, sich aber immer erst
abends mit seinem Pilgerbruder in einer Herberge treffen würde, weil dieser
gern schon in der Dunkelheit loslaufe, um bereits am frühen Nachmittag am Ziel
anzukommen. Der Schweizer meinte, dass er nicht so schnell wäre, aber für meine
Begriffe lief er recht zügig, und auf einmal hatten wir Carol eingeholt, die
mich wahrscheinlich bei meiner Rast überholt hatte.
    „Hello, Conny “, sagte sie erfreut , „nice to meet you, but where is your friend
Simone ?“
    Ich
erzählte ihr, dass Simone nicht meine Freundin sei und dass ich sie heute
Morgen schnell aus den Augen verloren hätte.
    „And where do you want to
go today? Do you walk to Calzadilla? ”, fragte sie mich interessiert .
    „I don’t know“, antwortete ich , „my head says
yes, but my feet and my shoulders say no.” Carol lachte ihr ansteckendes Lachen. Der
Schweizer war inzwischen weitergelaufen, als er sah, dass wir beide uns
kannten. Carol und ich beschlossen, in der schönen alten Stadt erst einmal
Pause zu machen und hier über den weiteren Weg zu beraten.
    In
einem gemütlichen Café trafen wir eine sehr interessante Frau. Sie schien etwa
in unserem Alter zu sein, hatte sehr schöne, lange schwarze Haare und dunkel
blitzende Augen. Auffällig an ihr war nicht nur das ebenmäßige Gesicht, sondern
vor allem die Kleidung. Sie trug einen bunten langen Rock und ein dazu
passendes buntes Tuch, welches sie lässig um die Haare gebunden hatte. Die
erste Pilgerin, die einen Rock trug! Überrascht stellte ich fest, dass sie
neben Englisch auch Deutsch sprechen konnte, und das war noch nicht alles.
    Agnes
stellte sich uns als Aghi vor und schien ein
richtiger Wirbelwind zu sein. Die gegenseitige Sympathie war unverkennbar, denn
sie hörte gar nicht auf, zu erzählen. Sie war französische Staatsbürgerin und
mit einem Franzosen das zweite Mal glücklich verheiratet. Dabei stammte sie
ursprünglich aus Rumänien, der Heimat ihres Vaters, während ihre Mutter aus
Deutschland kam. Den Camino ging sie schon das dritte Mal und sprühte geradezu
vor Begeisterung. Nachdem sie uns Carrión de los Condes schmackhaft gemacht und
uns die Herberge im Kloster empfohlen hatte, holte sie plötzlich ein kleines
schwarzes Tagebuch aus ihrem Gepäck. Dabei leuchteten uns ihre dunklen Augen
verheißungsvoll an. „Das müsst ihr beachten, wenn ihr einen guten, nachhaltigen
Weg für euch haben wollt!“, sagte sie mit ausdrucksvollem französischem Akzent
und wir beide hörten völlig erstaunt und überrascht dem Gemisch aus Englisch
und Deutsch zu:
     
    1.
Schweigen, höre Gott, höre die Natur und dich!
    2.
Langsam

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