Das Leben in 38 Tagen
gehen, dann kannst du sehen und hören, was du nicht erzählen kannst!
3.
Alleinsein mit dir, mit der Erde, dem Wasser, mit Gott!
4.
Anstrengung ist gut für den Geist; sich körperlich verausgaben!
5.
Enthaltsamkeit, zu wissen, wie es ist, mit wenig auszukommen, nicht alles haben
zu müssen!
6.
Glück empfinden, das man mit Geld nicht kaufen kann; Sonne, Regen, Natur, Liebe!
Ich
war beeindruckt und Carol erging es ebenso. Schnell schrieben wir die Zeilen in
unsere eigenen Eintragungen. Es waren genau die Dinge, die ich schon für mich
als wichtig auf dem Weg erkannt hatte, aber hier konnten wir es noch einmal
schwarz auf weiß lesen. Welch ein Glück, so einen
interessanten Menschen getroffen zu haben. Aghi schien uns als verwandte Seelen und Freunde zu sehen, denn sie umarmte uns
herzlich, während sie sich für heute verabschiedete. „Have a
good time in Carrión, I want to walk to Calzadilla today, I have to go, bye!” Sie winkte uns noch einmal an
der Tür und unser „See you !” kam nicht nur wie aus
einem Mund, sondern auch wie aus einem Herzen.
Carol
und ich sahen uns an und ohne etwas zu sagen, fühlten wir uns plötzlich auf
eine besondere Weise miteinander verbunden. Aghi war
uns wie ein kleines Wunder erschienen, das genauso schnell, wie es aufgetaucht
war, auch wieder verschwunden war. Wir beide aber würden die Nacht hier
verbringen, über das Gehörte nachdenken und erst morgen die lange Strecke von
siebzehn Kilometern bis zum nächsten Ort in Angriff nehmen. Das Schicksal hatte
schon für uns entschieden!
Mit
einem eigentümlichen Gefühl im Magen läuteten wir die Glocke am Eingangsportal
des alten Klosters Santa Clara. Dabei erzählte mir Carol, dass sie als Mädchen
in eine Klosterschule gegangen sei und nur gute Erinnerungen an diese Zeit
habe. Sie würde sich freuen, wieder einmal in einem Kloster übernachten zu
dürfen. Erstaunt stellte ich fest, dass ich bisher noch nie etwas von Klosterschulen
in Kanada gehört hatte. Wie wenig man doch immer noch wusste von der Welt!
Nun
hatten wir zwar gehofft, von einer Nonne empfangen zu werden, aber eine ältere
Dame, die mit ihrer Kleidung wie eine Haushälterin aussah, öffnete die schwere,
verzierte Holztür. Sie bat uns freundlich, ein Anmeldeformular auszufüllen. Auf
diesem Bogen stand in allen möglichen Sprachen „Herzlich willkommen!“ Als die
Dame sah, aus welchen Ländern wir kamen, las sie uns diese Worte in unserer
Muttersprache und mit schönem spanischem Akzent vor. Dieser nette Empfang
bestätigte uns noch einmal in unserer Entscheidung, hier übernachten zu wollen.
Durch
die langen, stillen Gänge des Klosters führte uns die freundliche kleine Frau
über einen schönen Innenhof und eine Außentreppe in ein Nebengebäude, das als
Pilgerherberge diente. Bald darauf fanden wir uns in einem großen Schlafsaal
mit zwölf Einzelbetten wieder und waren anscheinend die ersten Pilger für
heute. Herrlich! Wir hatten die vielen Duschen, Toiletten und Waschräume erst
einmal für uns allein und durften uns die Betten aussuchen. Ich legte mich auf
ein Bett neben dem Fenster und mein Blick fiel nun genau auf den Kirchturm des
Klosters, wo ein stolzes Storchenpaar von seinem Nest zu uns herübersah!
Noch
eine schöne Begrüßung!
Die
Überraschungen schienen heute kein Ende zu nehmen, denn als Carol den Inhalt
ihres Rucksacks auf ihrem Bett ausgebreitet hatte, stieß sie einen
Freudenschrei aus! „Meine Nagelschere ist wieder da! Ich habe sie schon seit
drei Tagen gesucht und nicht gefunden. Den Rucksack habe ich auch schon dreimal
ausgepackt. Ist das nicht wie ein Wunder?“
Ich
freute mich über ihre Begeisterung und sagte scherzhaft: „Das ist ja wirklich
wunderbar. Nun muss ich nur noch meine Sonnenbrille wiederfinden. Die suche ich
auch schon seit ein paar Tagen!“ Und ob man es glaubt, oder nicht; auf einmal
steckte meine Sonnenbrille, die ich mir erst in Nájera nach meinem Sturz
gekauft hatte, in einer Seitentasche meines Rucksacks! Wir beide kamen aus dem
Staunen nicht mehr heraus. Ich hatte wirklich genau wie Carol den Rucksack
mehrere Male durchsucht und erst heute, in diesem geheimnisvollen Kloster,
fanden wir unsere verloren geglaubten Dinge wieder!
Nun
verband uns beide schon das zweite Geheimnis. Gern hätten wir uns zusammen die
Klosterkirche angesehen, aber irgendwie kam man über den Innenhof nur noch
durch den Hintereingang auf die Straße und nicht mehr in das eigentliche
Kloster hinein. Das fanden wir
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