Das Leben in 38 Tagen
etwas schade, aber so gingen wir noch ein wenig
in die kleine altertümliche Stadt, sahen uns eine Ausstellung in einer anderen
Kirche an, kletterten auf ihren Turm und landeten schließlich pünktlich zum
Sonntaggottesdienst in einer dritten Kirche. Der alte Pfarrer sang mit
feierlicher Inbrunst die spanische Messe und ich spürte in diesem
geschichtsträchtigen, schönen Gebäude, wie wieder einmal eine Welle von
Emotionen über mich hereinzubrechen drohte. Ich versuchte, nur der Dankbarkeit
in mir Raum zu geben, und beobachtete dabei eine auffallend hübsche spanische
Familie mit vier Kindern, die an den Seitenbänken saß. Die Mutter und der Vater
hielten jeweils ein kleines, schlafendes Kind im Arm, während die beiden
Größeren das Paar von beiden Seiten einrahmten. Als die Menschen zur Kommunion
nach vorn gingen, reichten die Eltern die schlafenden Kleinen ihren älteren
Geschwistern und wechselten sich mit ihnen ab.
Was
für ein schöner, beruhigender Anblick! Könnte man doch ein wenig von der
länderübergreifenden und Dankbarkeit ausströmenden Harmonie dieser Kirche und
ihrer Menschen festhalten und mit in die Welt hinaustragen!
Und
mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Nach der Messe lud der Pfarrer alle
Pilger zu sich in die Sakristei ein. Erstaunt betraten Carol und ich den
winzigen Raum, in dem sich nun etwa zwanzig bis dreißig Menschen verschiedener
Nationen zusammendrängten. Der rührige Pfarrer freute sich sichtlich und
begrüßte uns alle noch einmal persönlich in „seiner“ Kirche. Als er dann sah,
aus welchen verschiedenen Ländern seine heutigen Gäste kamen, wurde sein Lächeln
noch strahlender.
Er
hatte Zettel mit Gebeten und Liedern in mehreren Sprachen vorbereitet und nun
konnte sich jeder an der kleinen Sing- und Betstunde beteiligen, was nicht ohne
Gelächter abging.
Wir
fühlten uns plötzlich zusammengehörig wie in einer Familie, und das wollte der
Pfarrer wohl auch erreichen. Mit seiner schönen tiefen Singstimme führte er den
vielstimmigen und vielsprachigen Chorus immer wieder an. Zum Schluss sprach er
noch einen Segen und wir verließen mit neuem Mut und Vertrauen diesen einladenden
Ort. Ich empfand es wieder einmal als großes Glück, gerade an einem Sonntag
eine solch beeindruckende Messe erlebt zu haben. Bis jetzt hatte ich
tatsächlich, ohne es direkt zu planen, an jedem Sonntag meiner Pilgerreise so
etwas Besonderes erleben dürfen. War das nun Zufall oder Fügung?
Heute
schien sowieso der Tag der kleinen Wunder und Fügungen zu sein. Ich war mit
Carol und mit Aghi zusammengetroffen, wir hatten ein
Bett in dem geheimnisvollen Kloster ergattert, eine gute Sonntagmesse mit Extrasegen
erlebt und zum guten Ende durften wir noch ein leckeres Pilgermenü in einem
schönen Restaurant genießen. Als wir uns dabei gerade in Ruhe über die
sonderbaren Ereignisse des heutigen Tages unterhalten wollten, fragte plötzlich
eine wohlbekannte Stimme, ob sie sich zu uns setzen dürfte!
Es
war die redehungrige Elli, deren Bus hier Station gemacht hatte, und da sie
kein Englisch konnte, saß Carol etwas verloren neben uns. So schnell wie Elli
redete, konnte ich nicht übersetzen, was diese aber nicht zu stören schien.
Schließlich „kannte“ sie mich und wollte mir etwas erzählen. Ich war froh, als
sich später noch ein Liechtensteiner zu uns gesellte, der Englisch sprach und
das einseitige Gespräch etwas auflockerte. Elli freute sich darüber, dass Carol
keinen Wein trinken wollte, und goss sich daraufhin munter aus unserer Flasche
ein. Im Gegensatz zu ihr schien sie das Wort „Zurückhaltung“ nicht zu kennen
und litt wohl eher unter einem gewaltigen Defizit an Zuwendung.
Auf
dem Jakobsweg kann man, wenn man will, wirklich in kürzester Zeit die
unterschiedlichsten Menschen mit den verschiedensten Verhaltensweisen kennen
lernen. Ich fand das sehr interessant und fragte mich, ob man dabei vielleicht
doch lernen sollte, sich seine Gesprächspartner auszusuchen und auch einmal
„Nein“ zu sagen. Auf der anderen Seite hatten wir Elli mit unserer Gesellschaft
bestimmt eine große Freude gemacht. Ob sie das wenigstens auch so empfunden
hatte?
Auf
jeden Fall verbrachten Carol und ich eine gute und ruhige Nacht im Kloster, zu
zweit in einem Zwölf-Bett-Zimmer, denn wir waren spätabends noch heimlich in
den anderen Schlafsaal geschlichen, um dem Schnarchen der Männer zu entgehen.
Wenigstens im Kloster hätte man doch einmal Männlein und Weiblein trennen
können! Aber so
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