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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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etwas hatte es nicht einmal früher gegeben, im Gegenteil, ich
hatte gelesen, dass damals sogar nackt geschlafen wurde und Läuse und Flöhe in
der Enge massenhaft übertragen wurden! Wie gut und vergleichsweise einfach war
es doch, heute zu pilgern und wenigstens Betten, Schlafsack und Klokabinen mit
Wasserspülung zu haben!
    Am
nächsten Morgen wollte Carol erst noch eine E-Mail im Kloster schreiben und ich
lief schon allein los. Wir waren sicher, dass wir uns wiedertreffen würden, und
so gab es keine große Verabschiedung. Der Himmel empfing mich wolkenverhangen
und trübe, aber das störte mich nicht. Ich war froh, gestern hier geblieben zu
sein, und nahm freudig und bewusst Abschied von der kleinen alten Stadt mit
ihren schönen Häusern und Plätzen, den gemütlichen Lokalen und den
interessanten, authentischen Kirchen und Klöstern mit ihren freundlichen
Menschen.
    Am
Ende der Stadt überquerte ich die Brücke über den lieblich erscheinenden Fluss
Carrión. Er hatte sich ein erstaunlich tiefes Tal gegraben und wurde zu beiden
Seiten von mächtigen, teilweise blühenden alten Kastanienbäumen, Birken und
Pappeln umsäumt. Mit der Stadt im Hintergrund und dem berühmten Kloster San
Zoilo auf der anderen Seite bot sich eine malerische grüne Kulisse. Als ich
mich noch einmal umsah, schien es mir, als grüßten mich die vielen
Storchenpaare auf den Türmen zum Abschied.
    Ich
musste mich wirklich von diesem Blick und auch von der wunderbar mit
Steinfiguren verzierten Fassade des Klosters losreißen, um endlich weitergehen
zu können. Vor mir lagen schnurgerade siebzehn einsame Kilometer auf einer
alten, nicht befahrenen Römerstraße. Dies sollte das schlimmste Teilstück der Meseta sein, weil es hier weder Wasser noch Bäume oder
Häuser bis zum nächsten Ort gab.
    Mangelndes
Wasser würde wohl heute nicht das Problem darstellen, eher schien das Gegenteil
einzutreten. Nach einer halben Stunde zügigen Laufens begannen die dunklen
Wolken ihre Fracht abzuladen. Ich mummelte mich in mein Cape ein und versuchte,
gegen den nun herunterprasselnden Regen und den immer stärker werdenden Wind
anzukämpfen. Ein „wunderbares“ Wetter, aber doch besser, als in glühender Sonne
diese Strecke zurückzulegen. So war man wenigstens gezwungen, so schnell wie
möglich zu laufen, und landschaftlich verpassen konnte man selbst mit ständig
gesenktem Kopf zwischen den endlosen Weizenfeldern ja auch nichts.
    Meine
Gedanken wanderten dabei wieder unaufhörlich, diesmal in die weit
zurückliegende Vergangenheit. Wie mussten sich wohl vor fast zweitausend Jahren
die römischen Soldaten gefühlt haben, als sie hier entlanglaufen mussten, im
fremden Land, ständig in der Gefahr, angegriffen zu werden? Vielleicht ohne
genügend Wasser und Nahrung, verletzt, mit geschundenen Füßen, ohne Medikamente
und ohne Rücksicht der Vorgesetzten? Ein Menschenleben bedeutete nichts! Wie
viele Tote hatte man wohl entlang des Camino begraben müssen, oder waren sie
vielleicht sogar nur einfach liegen geblieben? Diese Gedanken wollte ich aber
jetzt lieber nicht weiterspinnen. Ich lebte jetzt und war dankbar dafür...
    Plötzlich
lief Carol neben mir. Ich freute mich riesig, als ich ihre braunen,
freundlichen Augen unter der hellblauen, fest zusammengezogenen Kapuze
erkannte. Wir lachten uns an, während uns das Wasser über das Gesicht lief und
überall heruntertropfte. Die Kanadierin war mit zwei jungen Männern so schnell
gelaufen, dass sie mich eingeholt hatten. Dabei hatte ich gedacht, dass ich
schnell vorwärtskam! Die beiden Männer liefen zügig weiter, während Carol neben
mir blieb, aber zum Reden war es zu windig und zu regnerisch. Jeder hatte mit
sich zu tun. Der Wind wurde immer stärker und kälter und nahm einem den Atem.
    Doch
die Gedanken kreisten dafür immer weiter. Ich stellte mir vor, dass ich genau so , wie ich mich jetzt kraftvoll gegen den Wind
stemmen musste, auch gegen meine eigenen negativen Gedanken und Gefühle kämpfen
würde, ja dass ich es gerade in diesem Augenblick tat! Die scheinbar endlose Meseta war wohl genau der richtige Ort dafür. Hier war jeder
auf sich allein gestellt. Ich wollte kämpfen, ich wollte stark sein und mich
nicht von den erlebten Enttäuschungen und Verletzungen herunterziehen lassen!
Schließlich hatten auch andere Menschen schlimme Erfahrungen gemacht, die ihren
Seelenfrieden durcheinandergewirbelt hatten. Trotzdem hatten sie sich wieder
nach oben gekämpft.
    Ein
großes Beispiel für mich

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