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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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seiner einfachen mehreckigen Lehmkirche im
zwölften Jahrhundert von den Templern errichtet worden sein. Daher stammt auch
der schöne klangvolle Name. Allerdings fiel uns seit Calzadilla de la Cueza
auf, dass die Dörfer mit den niedrigen braunen Lehmhäusern einen sehr ärmlichen
Eindruck machten. Mehr noch als die vergangenen Dörfer mit den alten
Steinhäusern. Einige Häuser waren auch hier unbewohnt und manche davon schon
halb verfallen. Hier konnte man wieder deutlich sehen, dass viele junge
Menschen die Dörfer verlassen hatten, um in der Stadt oder gar im Ausland zu
leben. Da es rundherum nur Weizenfelder gab und die Löhne in der Landwirtschaft
vielleicht gerade zum Leben reichten, war das zwar traurig, aber nur allzu
verständlich.
    Zum
Glück für uns Pilger gab es aber immer wieder bodenständige Menschen, die
versuchten, aus ihrer Situation das Beste zu machen und zum Beispiel eine
Herberge zu errichten. In Terradillos de Templarios lud inmitten des alten
Dorfes eine neue, recht große private Unterkunft die Pilger zur Übernachtung
ein. Hier hatte der Hausherr im oberen Stockwerk alles aus Holz errichten
lassen, was eine angenehme Atmosphäre ausstrahlte. Die Vier- und
Sechsbett-Zimmer waren zwar nach oben hin offen, was auf eine laute Nacht
schließen ließ, aber dafür sauber und klein.
    Im
Erdgeschoss gab es eine Küche und einen großen Aufenthaltsraum mit Kamin. Hier
wurde uns abends von der Familie das Essen serviert und wir genossen das
heimelige Flair. An unserem Tisch saß das französische Pärchen von vorletzter
Nacht, das sich nun in anscheinend fröhlicher Harmonie mit einem anderen
französischen Paar unterhielt. Am Nachbartisch winkte mir Elke zu, die
ehemalige Lehrerin aus Hamburg, mit der ich mir auch interessante Gespräche
vorstellen konnte, aber sie diskutierte gerade sehr ernst mit Elfriede.
    Elfriede
war eine ältere deutsche Frau, die eigentlich mit ihrer Schwester und mit ihrem
Schwager unterwegs war, sich aber nun endlich nach vielen Unstimmigkeiten von
ihnen getrennt hatte. Ich hörte, wie sie sich über ihre Schwester beklagte, die
ihr selbst auf dem Camino ständig Vorschriften machen wollte, was sie zu
denken, zu sagen und zu tun hatte.
    „Dafür
wollte ich nicht den Jakobsweg gehen; um das zu tun, was andere mir sagen“,
erzählte sie bitter. „Und hinterher soll ich dann auch noch Dankbarkeit zeigen,
was sie alles für mich getan hat! Das ist doch widersinnig!“
    Elke
war da genau der richtige Gesprächspartner für sie, denn im Gegensatz zu ihr
strotzte sie geradezu vor Selbstbewusstsein. Sie wusste genau, was sie wollte,
und ließ sich bei ihren Entschlüssen von niemandem hineinreden. Ich bewunderte
ihre Konsequenz, immer allein zu laufen und allein zu entscheiden. Obwohl ich
das eigentlich auch wollte, ließ ich mich doch meist leicht überreden und
beeinflussen, um mich dann hinterher nur wieder über mich selbst zu ärgern...
    Ich
erzählte Carol von dem Gespräch der beiden und stellte wieder einmal fest, wie
interessiert sie an allem war. Bei ihr vereinten sich offenes Wesen und
bescheidene Zurückhaltung in erstaunlich guter Symbiose. Ich war sehr froh,
dass wir beide uns kennen gelernt hatten. Ebenso wie die beiden Engländerinnen,
mit denen ich drei Tage gelaufen war, und die drei Irinnen sprach sie kein Wort
Deutsch. Deshalb machte es mich besonders stolz, ihr etwas übersetzen zu können
und anscheinend sogar ein interessanter Gesprächspartner für sie zu sein.
    Carol
stammte eigentlich aus dem französischsprachigen Teil Kanadas und hatte früher
als Französischlehrerin gearbeitet. Nach der Geburt ihrer beiden Söhne begann
sie in einer großen Bibliothek zu arbeiten, was sie auch heute noch gern tat.
So hatte sie nicht so viel Stress und konnte sich mehr um ihre Familie kümmern,
obwohl die Kinder nun auch schon erwachsen und auf der Suche nach ihrem Platz
im Leben waren. Carol schien ein richtiger Familienmensch zu sein, denn sie
erzählte oft und gern von ihrem Mann Gary und ihren beiden Kindern Steve und Brandon.
Sie bedauerte immer noch sehr, dass ihr Mann sie nur zwei Wochen auf dem Weg
begleiten konnte. Von jedem Internetanschluss schrieb sie Mails nach Hause und
so hatte sie mir auch schon Fotos von ihrer Familie gezeigt.
    Ein
Foto fand ich besonders interessant. Darauf waren nicht nur ihre eigene
Familie, sondern auch ihre Eltern und ihre Geschwister mit Familien zu sehen.
Das Besondere daran war, dass alle Personen auf dem Bild von der

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