Das Leben ist ein Kitschroman
füllte seinen Napf, während ich umherging und mir vorstellte, wie es sein würde, hier zu leben.
Die Wohnung war nicht besonders groß, aber sie hatte eine gute Raumaufteilung.
Der breite Flur endete mit einem Fenster zum Hof. Luise und Christian hatten dort einen großen Tisch hingestellt und somit diente er gleichzeitig als Esszimmer. Ansonsten hatte jeder der beiden ein eigenes Zimmer, es gab eine gut eingerichtete Küche und ein Badezimmer mit Badewanne und Toilette. Perfekt.
»Na, meinst du, du kannst es in unseren Gemächern eine Weile aushalten?«, fragte Luise, als sie mich vor dem Fenster in ihrem Zimmer stehen sah. Sie legte mir einen Arm um die Schulter.
»Aber hallo«, sagte ich. »Und ich bin unendlich gespannt, was sich in den kommenden Wochen alles ereignen wird.«
4
Telefone können Leben retten, sagt man. Sie können einen allerdings auch umbringen. Zum Beispiel wenn sie samstagmorgens in aller Herrgottsfrühe neben deinem Ohr losjaulen und dich zu Tode erschrecken.
»Ja?«
»Man meldet sich stets mit seinem Familiennamen, Charlotte!«, sagte meine Mutter. »Das solltest du allmählich wissen.«
So viel zum Thema Den Kindern ein Vorbild sein.
Ich schielte Richtung Wecker. Halb acht. Mussten wir um diese Zeit wirklich schon solche Gespräche führen?
»Wie machen wir es denn heute mit den Vorhängen?«
Ich schloss die Augen und sah ein paar gelb-weiß gestreifte Gardinen. Sanft im Wind flatternd vor ausgebrannten Fenstern.
»Bist du noch dran, Charlotte?« Ihre Stimme wurde streng. »Ich rede mit dir! Wenn wir heute den Stoff aussuchen, musst du unbedingt vorher die Fenster ausmessen.«
»Mam, ich brauche in nächster Zeit keine Vorhänge, weil –«
»Was soll denn das nun wieder heißen? Natürlich brauchst du Vorhänge! Oder willst du, dass alle Nachbarn dir direkt ins Zimmer schauen können? Man hört immer wieder von diesen Verrückten, die sich abends auf die Lauer ...«
»Wenn man keine Wohnung hat, erübrigt sich das Problem«, unterbrach ich sie nun meinerseits. »Und das Beklopptenrisiko geht somit gegen null.«
Stille. Wohltuende Stille. Leider nicht lange.
»Willst du damit andeuten, dass ...«
»Dass es in dem Haus gebrannt hat und Monate dauern wird, bis ich einziehen kann«, zitierte ich den Makler.
»Um Himmels willen!« Ich stellte mir vor, wie sie nun hektisch im Flur auf und abging. »Ich werde sofort den Hausmeister beauftragen, deine Sachen zu holen und der Putzfrau sagen, dass sie dein Zimmer herrichtet, damit du dich gleich ...«
»Die Mühe kannst du dir sparen, ich ziehe nicht zu euch.«
»Wie bitte?« Die neue Ich-mach-es-euch-allen-nicht-mehr-recht-Charlotte verwirrte meine Mutter hörbar.
»Ich hüte in nächster Zeit die Wohnung von Luise und meine Sachen werden vom Makler irgendwo zwischengelagert. Mach dir also keine Gedanken.«
»Meine jüngste Tochter steht auf der Straße und ich soll mir keine Gedanken machen?! Bist du noch zu retten? Und wo wohnt diese Luise?«
»In der Georgenstraße.«
»In der Georgenstraße?« Meine Mutter wiederholte den Namen, als hätte ich ihr mitgeteilt, dass ich in die geschlossene Seuchenabteilung der Uniklinik ziehen würde. »Die Georgenstraße beim Sternplatz?«
»Es gibt meiner Meinung nach nur eine Straße, die so heißt.«
»Mein liebes Kind, das ist doch im Bahnhofsviertel! Dort wimmelt es von Bordellen!«
»Es gibt dort nur ein einziges in der Straße.«
Und zwar direkt vor meiner Nase.
»Und dann die ganzen zwielichtigen Geschäfte dort!«
Was bitte schön war zwielichtig an einer Bäckerei, einer Buchhandlung, einem Pizza-Service und einem asiatischen Take-away?
»Wie kommt es, dass du dich dort so gut auskennst?«
Stille in der Leitung. Fragen dieser Art schätzte meine Mutter nicht.
»Es ist eben keine passende Umgebung für dich. Und ich bin der Meinung, dass du sofort nach Hause ziehen solltest!« Der Ton wurde schärfer. »Dein Vater sieht das sicher auch so.«
»Ich habe Luise aber schon versprochen, dass ich einziehe.« Ich unterdrückte ein Gähnen. »Ich kann sie unmöglich hängen lassen. Außerdem ist es eine ganz normale, ordentliche Wohnung mit netten Nachbarn.«
Und einem gepflegten Eroscenter.
»Charlotte, ich habe den Eindruck, du willst mich nicht verstehen!«
Richtig, Mama. Ich habe die Nase gestrichen voll von deinen Einmischungen.
»Ich verstehe dich durchaus«, sagte ich. »Aber du solltest langsam akzeptieren, dass ich alt genug bin, mich um meinen Kram zu kümmern.
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