Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Das Leben ist ein listiger Kater. Roman

Titel: Das Leben ist ein listiger Kater. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
Vom Netzwerk:
Leben.
    Er hat es nicht leicht, der kleine Camille, das ist das Mindeste, was man sagen kann.
    Niemand, der ihm hilft, kein Stipendium, kein Job, der mit seinem Stundenplan und seinem Lernpensum kompatibel wäre, oder aber völlig unterbezahlt.
    »Ich wohne in einem zehn Quadratmeter großen Schuhkarton, der mich jeden Monat ein Vermögen kostet. Der eigentliche Zuhälter ist mein Vermieter. Deswegen gehe ich … na ja, Sie wissen schon. Ich tue das, um weiterstudieren zu können, und ich hasse es. ›Verstehen‹ Sie jetzt?«
    »Hast du denn keine Familie?«
    »In meiner Familie mag man Schwule nicht besonders. Ich bin vor zwei Jahren abgehauen. Die werde ich bestimmt nicht anbetteln.«
    Seine Stimme wackelt etwas. Das hübsche Täubchen muss eine Menge durchgemacht haben. Er räuspert sich und fährt in gespielt gleichgültigem Ton fort: »Sie könnten es sich sowieso nicht leisten, mir zu helfen, damit ist die Frage erledigt. Ich wurstele mich durch, wie die anderen auch.«
    »Gibt es etwa noch mehr, die das tun?!«
    »Was glauben Sie denn? Dass das Studium umsonst ist, dass alle Studenten ein Zimmer im Wohnheim haben? Verlassen Sie nie Ihre Wohnung und schauen sich draußen um?«
    Er hat sich auf den Stuhl gesetzt, nur mit einer Pobacke, wie beim letzten Mal. Bereit, bei der geringsten falschen Bewegung zu fliehen. Er redet und redet. Er erzählt mir sein ganzes beschissenes Leben. Sein Freund und Mitbewohner, der ihn zu Semesterbeginn ohne Vorwarnung hat sitzenlassen; die Einsamkeit, die Plackerei, die verzweifelte Suche nach einem Zimmer. Aber ohne Geld und ohne Bürgschaft landet man schnell in üblen Vierteln und baufälligen Buden.
    Er muss mit einem gesunden Optimismus ausgestattet sein, denn er fügt hinzu, dass er »Schwein« hat: Er wohnt gerade zur Untermiete im Zimmer eines anderen Studenten, der für ein Praktikum ein paar Wochen im Ausland ist.
    »Es ist nicht legal, aber was soll’s. So hab ich noch einen Monat Ruhe.«
    Ein Monat, und danach? Was dann wird, will er nicht wissen, er will nicht einmal darüber nachdenken. Er hat alle seine Ersparnisse aufgebraucht, er hat Aushilfsjobs gemacht, die ihn zwangen, einen Teil seiner Seminare sausenzulassen, und ihm keine Zeit zum Lernen ließen. Eines Tages vertraute ihm ein anderer Student an, er würde, um über die Runden zu kommen, auf den
Gelegenheitsstrich
gehen.
    »Ach, es gibt also auch ein Wort dafür!«
    »Es gibt Wörter für alles.«
    Da hat er recht. »Gelegenheitsstrich«, das erinnert mich an »chirurgische Schläge«, an »Kollateralschäden«. Es gibt wirklich Wörter für alles.
    Auch für die schlimmsten Dinge.
    Er verstummt.
    Ich nicke ihm ermutigend zu,
Weiter, weiter!
, und er fährt fort.
    Der Kundenfang im Internet oder in Bars, die flüchtigen Begegnungen im Freien, wenn das Wetter es erlaubt, oder in öffentlichen Toiletten, um niemanden mit nach Hause zu nehmen. Die eigene Adresse preiszugeben ist immer ein Risiko. Es gibt eine Menge Irre da draußen.
    »Die Mädchen können es als Hostessen probieren, manchmal schaffen sie es sogar ohne Sex, oder fast ohne. Aber wir …«
    »Wir«, die Jungen.
    »Ach ja? Warum? Ist es bei Männern anders?«
    »Ja, bei den Schwulen gibt es viel mehr Anmache. Im Internet, in Sportstudios, in Diskos. Die, die für Sex bezahlen, das sind wirklich die, die sonst keiner haben will.«
    Das braucht er nicht weiter zu erklären: die Durchgeknallten, die Widerlinge.
    »Und du hast keine andere Möglichkeit, bist du sicher?«
    Er streckt die Beine lang vor sich aus und bleibt niedergeschlagen sitzen, schweigend, mit hängenden Schultern, den Blick ins Leere.
    »Scheißleben!«
     
    Ich finde oft das treffende Wort.

Hallo, Kumpel! Ich glaube, seit ich hier drin bin, habe ich ein paar wesentliche Dinge kapiert: Ich bin alt; Studenten jeglichen Geschlechts gehen auf den Strich, um ihr Studium zu finanzieren; Jugendliche sind unerträglich; ich hasse das Krankenhaus, und das Essen hier ist wirklich zum Abgewöhnen, was vielleicht zu Ersterem beiträgt. Nimm dies als mein spirituelles Erbe.
    Und vor allem danke mir nicht.
    Alles klar. Was nimmst du eigentlich genau für Medikamente? Siehst du auch weiße Mäuse?
    Ich nehme gar nichts, und ich war noch nie in meinem Leben so klar im Kopf wie heute.
    Nee, mein Lieber, du warst nie klar im Kopf. Ich habe Fotos, die das beweisen. Und erzähl mir keinen Blödsinn, du kannst gar nicht alt sein: Du bist ein Jahr jünger als ich.
    In dem Zusammenhang solltest du

Weitere Kostenlose Bücher