Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
Angenehme an meiner Schwester ist, dass sie dann nicht verärgert ist und den Ball nicht einfach zurückspielt. Sie redet ruhig an der Stelle weiter, an der ich sie unterbrochen habe.
»Wir essen nicht mehr so viel wie früher, und ich kaufe auch nicht mehr diese Wurstpakete. Aber wir lassen nichts umkommen, und dann isst man halt immer alles auf.«
»Merkst du den Unterschied zwischen dem Fleisch vom Metz ger und dem, das du früher im Supermarkt gekauft hast?«
»Ich merke, dass das Fleisch beim Metzger teurer ist. Aber ich sage mir: Gut, dann ist es halt so.«
»Woher weißt du, dass der Metzger die Tiere kennt?«
»Das sind Landmetzgereien. Einmal habe ich es selber gesehen, wie sie ein Rind brachten. Das tat mir so leid. Es hat sich gewehrt mit Händen und Füßen. Das haben sie in den Schlachtraum reingeschoben. Als ich wieder aus dem Laden rauskam, habe ich es tot liegen sehen.«
Ich frage sie: »Schmeckst du den Unterschied zwischen den 1,99-Euro-Hühnchen und den anderen?«
»Ja, tue ich. Wenn ich Hühner direkt kaufe, bezahle ich für ein ganz kleines Suppenhuhn acht oder zehn Euro. Aber da merke ich, dass die Suppe ganz anders schmeckt. Bei Fleisch sehe ich generell den Unterschied. Was ich beim Metzger kaufe, das zieht nicht so viel Wasser. Und das ist ein ganz anderer Geschmack.«
Ich sage: »Weiß du noch, was unsere Mutter immer sagt: Kauf auf keinen Fall Suppenhuhn, das sind die ärmsten und dünnsten Hähne?«
»Ja, aber ich will ja eine richtige Brühe haben.«
Meine Eltern sind mit einem Ehepaar befreundet, das schon zu DDR-Zeiten eine Fleischerei in derPrenzlauer Allee hatte. »Mama hat doch abends Schweinebauchfett in der Pfanne gemacht, das habe ich geliebt«, sage ich. »Weißt du das noch?«
Simone nickt.
Früher hätte man nie nachgefragt, wo das Fleisch herkommt, ob das Tier gut gelebt hat oder nicht. Ich glaube, dort würde ich mich das auch heute nie zu fragen trauen.
Weil ich es nicht lassen kann, doziere ich ein bisschen über die Fleischindustrie. »Statt weniger, besser und unter akzeptablen Bedingungen für die Tiere zu produzieren, es dafür teurer zu verkaufen und vielleicht ein bisschen weniger Gewinn zu machen, wird alles in Masse statt in Qualität produziert. Und dadurch, dass sich die Menschen angewöhnt haben, jeden Tag in der Woche Fleisch zu essen, sind wir in diese Spirale der Massentierhaltung reingeschlittert. Statt zu sagen, ich esse zwei oder drei Tage die Woche Fleisch, aber dafür gutes.«
Meine Schwester sagt: »Ja, früher hat man oft Hering gegessen. Heute kannst du Hering kaum noch bezahlen.«
»Der Fleischkonsum ist aber nicht gestiegen, weil der Fisch so teuer wurde.«
»Aber die Leute kaufen weniger hochwertigen Fisch. Wir grillen auch Fisch. Dafür bezahlst du richtig viel Geld.«
»Ist Fisch für dich eine Alternative zu Fleisch?«
»Fisch ist aufwendiger als Bratwurst. Den muss ich erst mal sauber machen, da musst du die Schuppen lösen, den musst du richtig würzen.«
»Dir ist schon klar, dass du den reduzierten Fleischkonsum nicht mit Fisch kompensieren kannst?«
»Ja, dann mache ich eben auch mal gern Spaghetti.«
»Vegetarisch?«
»Mit Garnelen.«
»Du machst ganz schön viel mit Garnelen.«
»Um vom Fleisch wegzukommen, um was anderes anzubieten.«
Sie erzählt, wie sie nach der Wende Garnelen entdeckte. »Das war das Tollste, dass du beim Italiener fünf Riesengarnelen bestellen konntest. Das war das teuerste Gericht. Jetzt kriegst du sie überall zu kaufen.«
»Du weißt, wo die Garnelen herkommen?«
Ja, sagt sie: »Ich hab dir doch mal erzählt, dass ich Garnelenbecken gesehen habe. Bei einer Thailandreise. Und auch, was die da reinsprühen. Aber ich mag die so gern, deshalb habe ich da nicht so drüber nachgedacht.«
Die Industriegarnelen werden seit den 80er-Jahren vor allem in China, Thailand und Vietnam künstlich gezüchtet. In riesigen Shrimpsfabriken, die viele negative Auswirkungen auf das Ökosystem und die Lebensgrundlagen von Menschen und Tieren haben. Für die Shrimpsbecken werden Wälder abgeholzt und Küstenlandstriche zerstört, in die Becken werden Desinfektionsmittel, Antibiotika und Gifte gesprüht, um andere Meerestiere abzuhalten. Das alles gelangt in die Böden und die Meere. Wie immer nehmen die global operierenden Unternehmen das Geld mit, die sozialen und ökologischen Schäden dürfen das Land und die Menschen der Region behalten.
»So, und jetzt mache ich mal das Mittagessen fertig«, sagt meine
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