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Das Leben ist eine Oeko-Baustelle

Das Leben ist eine Oeko-Baustelle

Titel: Das Leben ist eine Oeko-Baustelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Paul
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weil die Träger des alten Paradigmas das kritisch sehen, wenn nicht gar bekämpfen. Oder es als Angriff auf ihre Lebensleistung verstehen, was das Schlimmste ist.«
    »Was heißt das?«
    »Das heißt, dass man sich als Oberbürgermeister einer Stadt aus allem anderen herauszuhalten und gefälligst nicht über seinen Sprengel hinauszuschauen hat.«
    Ich sage: »Es gibt eine globale Verantwortung in Zeiten des Klimawandels. Der hört ja auch leider nicht an der Gemeindegemarkung auf.«
    »Stimmt. Aber Einmischungen aller Art sind verpönt und füh ren bei Kollegen unter der Hand zu Ablehnung oder Skepsis.«
    »Tenor: Muss der sich schon wieder einmischen?«
    »Genau.«
    »Hat der zu Hause nichts zu tun?«
    »Genau so. Entweder der hat zu Hause nichts zu tun, im Sinne von: Der ist da überflüssig. Oder er hat zu Hause nichts zu sagen, weil er nichts kann, deshalb muss er sich woanders betätigen.«
    Bei diesen Worten knarzt der ehrwürdige Boden des 1435 erbauten Rathauses. Während ich sitze, geht Palmer im Zimmer auf und ab. Er hat es im Rücken. Ich komme zu einer der grundsätzlichen Fragen, die mich zu diesem Buch bewegt haben: Soll man am kleinen Rad drehen, weil das sich tatsächlich bewegen lässt, oder muss man versuchen, am großen Rad zu drehen, auch auf die Gefahr hin, dass es sich nicht bewegen lässt? Oder wie kriegt man es hin, dass sich das große Rad auch bewegt? Wie werden Sie es machen? Wobei »kleines Rad« im Zusammenhang mit einer Stadt wie Tübingen fast schon wieder beleidigend ist. Als Chef von Stadt und Stadtwerken ist Palmer verantwortlich für über 1 400 Mitarbeiter. Dennoch wäre es ja nicht ehrenrührig, wenn er sich auch den Job des, sagen wir, Bundesumweltministers vorstellen kann. Das ist heikles Terrain für einen Politiker.
    Palmer überlegt. »Wer irgendwann mal ein großes Rad drehen will, sollte vorher beweisen, dass das kleine, das er dreht, flutscht wie geölt. Wenn das kleine Rad stillsteht, braucht man sich ums große nicht zu bemühen. Wenn man aber nachweisen kann, dass eine bestimmte Vorgehensweise Bewegung ins kleine Rad gebracht hat, dann ist eine Partei möglicherweise eher bereit, dir Verantwortung zu übertragen, um ein größeres Rad anzuschubsen.«
    Aha. Wir sind in einem sehr sensiblen Bereich.
    Ich sage: »Davon dreht sich aber das große Rad noch nicht. Mein Eindruck ist, dass Sie jemand sind, der diese Sache wirklich angehen will. Angesichts der geringen Handlungsspielräume der Politik könnte man das auch für naiv halten. Sie wären ja nicht der Erste, der über die Klinge springt.«
    Mal sehen, ob ihn das aus der Reserve lockt.
    »Also, wenn das naiv ist, dann ist der Kern dessen, was ich politisch mache, mir diese Naivität zu bewahren. Ich habe immer die Entscheidung getroffen: Entweder geht es so, dann mache ich es. Oder es geht nicht, dann soll es bitte schön bleiben, wo der Pfeffer wächst. Ich werde nicht Spielregeln auf mich nehmen, um ein großes Rad zu drehen, das sich keinen Millimeter bewegt. Wenn ich nur bei dem kleinen Rad etwas erreichen kann, weil die großen Räder für mich von der Mechanik her unverträglich sind, dann ist es halt so.«
    Soll heißen: Palmer verspricht, nicht um der Macht willen Posten anzustreben. An diesem Versprechen wird man ihn künf tig messen. Palmer spricht gern und ausführlich über die Eigenproduktion von sauberer Energie durch Wind, Sonne oder Kraft-Wärme-Kopplung. Genauso gern über Energieeffizienz, also dass ein verbesserter Motor mit deutlich weniger Benzin 100 Kilometer weit kommt oder ein Haus mit weniger Strom- oder Ölverbrauch billiger und genauso gut beheizt werden kann. Kurz: Er redet gern über technologischen Fortschritt.
    Das Wort »Suffizienz« benutzt er dagegen eher nicht. Das meint in der politischen Nachhaltigkeitsdiskussion einen gerin geren Verbrauch im Sinne von: weniger Auto fahren, weniger fliegen, weniger konsumieren. Kurz: Palmer redet kaum von Verzicht. Warum nicht?
    »Man wird den Leuten nicht zumuten können, zu verzichten, solange das System mit neunzigprozentiger Verschwendungs quote arbeitet. Wenn das System ausgepresst ist und immer noch Raubbau betrieben wird, dann müssen wir zwangsweise über die Suffizienzfrage reden.«
    »Aber darauf läuft es doch hinaus?«
    »Stimmt. Aber solange der erste Schritt nicht gemacht ist, kriegst du den zweiten bei den Leuten nicht platziert. Grüne Politik in den 80ern hatte den erhobenen Zeigefinger. Tenor: Wir machen den Planeten kaputt,

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