Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
Bei mir kommt das Interesse für Politik und das Konkrete, Praktische biografisch durch meinen Vater hinzu. Ich habe außerdem neben Mathematik Geschichte studiert und nicht Physik – wegen des kontextualisierten Denkens.«
Palmers große Stärke scheint es zu sein, komplizierte politische Inhalte in einfache Bilder fassen zu können, die viele Leute interessieren und bewegen. Sofort nach Amtsantritt tauschte er den Dienst-Mercedes seiner Vorgängerin gegen einen spritsparenderen Toyota Prius. Dann wechselte er den Prius gegen einen Smart aus, der noch weniger verbrauchen sollte. Als der Smart das Versprechen nicht in Realität umwandeln konnte, schaffte er den Dienstwagen komplett ab und stieg vollends auf das Fahrrad um. Alles unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit. Dabei war er ins Rathaus vom ersten Tag an geradelt. Die Sache mit dem Prius war Symbolpolitik gewesen und hatte tatsächlich zu einer bundesweiten Debatte geführt. Die einen fanden den Versuch großartig, das Statussymbol Dienstwagen von »groß« auf »ökologisch« umzudefinieren. Die anderen diskutierten die Frage, warum die deutschen Autokonzerne eigentlich keine Hybride hatten, also Autos, die teilweise elektrisch angetrieben werden können. Die Dritten, inklusive des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger, warfen Palmer »Landesverrat« vor – wegen der japanischen Marke. Was zu einer eigenen Diskussion führte darüber, welche Teile »deutscher« Autos denn tatsächlich in Deutschland hergestellt und eingebaut werden.
Inzwischen hat er Tübinger Autohäuser dazu gebracht, einen »Klimapass« an die Autos zu hängen, mit Farbbalken, die zeigen, wie umweltfreundlich das jeweilige Auto ist. Die Farbskala geht von Grün über Gelb bis Rot.
Ich wundere mich, dass die Autohäuser so etwas mitmachen.
Palmer sagt, das sei eine Serviceleistung, die bei der Kundschaft gut ankomme.
»Ist so ein Klimapass nicht ein bisschen wie ein ›Rauchen ist tödlich‹-Aufkleber für Käufer von großen, schnellen und schweren Autos?«
Palmer sagt: »Da lasse ich mich als Kunde solcher Autos sicher nicht abschrecken. Ich habe das nicht als absolute, sondern als relative Skala geliefert, für Geländewagen gibt es eine andere Klassifizierung. Da kann man als Autohaus sagen: Guck, ich habe einen gelben SUV, keinen roten.«
Also: Ich habe ein Auto, das viel CO 2 ausstößt, aber im Vergleich zu anderen Autos, die auch viel ausstoßen, ist es weniger.
Ich sage: »Man könnte doch sagen, man braucht keine Geländewagen, weil wir gut asphaltierte Straßen und Parkplätze haben.«
Palmer nickt. »Diese Meinung teile ich persönlich, aber ich bin kein Autokunde, ich hab ja keins. Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass es Leute gibt, die diese Autos aus irgendwelchen Gründen kaufen. Dann ist mein Ansatz: Du wirst niemand, der nichts von Umweltschutz hält, durch ein Schild abhalten, so ein Auto zu kaufen. Aber für jemand, der schon über die Umwelt nachdenkt, ist das eine relativ einfach verfügbare Information, mit der man eine Kaufentscheidung in puncto CO 2 optimieren kann.«
Da kommt zum ersten Mal Palmers Denkansatz durch, der an diesem Tag leitmotivisch immer wieder auftaucht: Dass es nicht darum geht, was eigentlich das Beste wäre, sondern darum, was tatsächlich und jetzt zu verbessern ist.
Wird Palmer das alles schaffen, was er angekündigt hat,näm lich die Klimabilanz jedes Tübingers bis 2020 von neun auf unter drei Tonnen CO 2 -Ausstoß zu bringen? Hat er die Zehn Prozent CO 2 -Reduzierung geschafft, die er in den ersten beiden Jahren anstrebte?
Das ist nicht einfach zu verifizieren, weil manche Zahlen schwierig bis unmöglich zu ermitteln sind. Er weiß, wer alles bei den Tübinger Stadtwerken zu Ökostrom gewechselt hat, aber er hat keine Zahlen von denen, die bei anderen Stromversorgern kaufen. Es sei praktisch unmöglich, den Mobilitätsbereich zu erfassen, also etwa herauszufinden, wie viel Benzin eine Stadt mit ihren Autos verfährt.
Das Problem ist, sagt Palmer: »Noch nicht mal die Individuen haben die Information, die man kollektiv haben möchte.«
Wie löst man das Problem? »Wir interpolieren«, sagt er. Was für mich als Nichtmathematikerin so viel heißt wie: Wir nähern uns einem Ergebnis durch Ermittlung von Teilergebnissen und Schätzungen an. Demnach hat Tübingen zwischen 2004 und 2009 den CO 2 -Ausstoß um 13 Prozent gesenkt.
Nun will er aber nicht 13 Prozent besser werden, sondern 70
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