Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
geraten Sie ins Hintertreffen gegenüber Kommunen, die sich zu 100 Prozent selbst versorgen, weil die Landesregierung anderswo ihnen das erlaubt. Andere haben den Vorteil, dass sie an der Küste sind, wo ständig Wind weht.«
Was tun, wenn der Wind nicht weht?
»Es gibt kürzere und längere Hebel. Manche Hebel hat man, andere hat man nicht. Man muss die finden, die für eine bestimmte Stadt passen.«
Wenn es also keinen Masterplan gibt, den man den Kommunen überreichen kann, wie kriegt man dann eine flächendeckende Struktur, sodass nicht nur Musterkommunen agieren, sondern alle?
Er nickt. »Die entscheidende Frage ist: Wie kriegt man es ins Zentrum des Handelns, ins Zentrum städtischer gemeinschaftlicher Diskussion? Ich habe es hier versucht, aber das hängt schon von persönlicher Schwerpunktsetzung ab. Und der Möglichkeit, das zu personifizieren.«
Ich sage: »Warum sollten nicht 100 andere Oberbürgermeister auch ihre Stadtwerke ausbauen und mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen können? So ein Hexenwerk scheint mir das auch nicht zu sein.«
Jetzt verzieht er sein Gesicht.
»Damit Sie verstehen, warum ich mich damit schwertue, erzähle ich Ihnen eine Geschichte.«
Er war bei einem Termin in einem Tübinger Vorort mit dem EU-Energiekommissar und früheren Ministerpräsidenten Günther Oettinger.
»Der hat eine halbstündige Rede über Energieversorgung gehalten, die ich im Grundsatz unterschreiben konnte. Sehr vernünftig.«
»Wo ist dann das Problem?«
»Ja, warten Sie. Von den hundert geladenen Gästen, die zu dieser illustren Veranstaltung gekommen sind, war ausweislich des Parkplatzes ein Einziger mit dem Fahrrad da.«
»Der Oberbürgermeister Palmer?«
»Richtig. Aber 99 kamen mit dem Auto. In einem großen Teil der baden-württembergischen Gesellschaft gibt es die Verkörperung des Themas also nicht. Oettinger erzählte auch locker, dass er als Student immer mit dem Auto von seinem Wohnort Ditzingen nach Tübingen gefahren sei, obwohl es die Autobahn noch nicht so gegeben habe.«
Palmer macht eine dramaturgische Pause. »Die Eisenbahn gab es aber schon.«
Worauf er hinauswill: Bei der CDU komme keiner mit dem Fahrrad.
»Das ist nicht in der Lebenswelt, nicht in der eigenen Biografie, nicht in der Kultur. Solange es in Baden-Württemberg fast nur CDU-Bürgermeister gibt, die das Neue in ihrer eigenen Biografie und ihren eigenen Überzeugungen nicht verkörpern, bin ich ein Exot, aber kein Modell.«
»Wie kommt es eigentlich, dass Sie so autoresistent sind?«
»Mir gibt es nichts, mit einem Porsche mit 200 zu brettern.«
»Warum nicht, Sie sind doch ein Mann?«
Er lächelt dankbar. Sagt dann: »Das weiß ich nicht.«
»Uns wurde doch eingehämmert, dass ein schnelles Auto mit großem Motor Freiheit, Spaß, Luxus, Selbstverwirklichung oder sogar Glück bedeutet.«
»Mich erfüllt es mit innerem Glücksgefühl, sagen zu können: Wir haben gemeinsam den CO 2 -Ausstoß reduziert.« So wie er dabei schaut, ist das offenbar tatsächlich so.
Palmer ist überzeugt, dass Glaubwürdigkeit und Identität in dieser Frage bei einem Politiker wichtig sind. Dass er nicht nur ökologische Politik macht, sondern sie lebt.
»Weil die Leute sagen: Er selber kommt mit S-Klasse und Fahrer und will mir erzählen, dass ich Fahrrad fahren soll. Das ist eine Dissonanz, die kann nicht funktionieren.«
Wo funktioniert es?
»Überall, wo es um Geld geht, um Investitionen, um Dinge, die sich rechnen, da sind die Ideologien vergangen, da wird sich das durchsetzen, was sich rechnet. Da kann man mit Information auch viel erreichen. Aber was Sie mit einer Ökocity im Kopf haben oder was ich mir darunter vorstelle, das geht einen Schritt weiter, das ist eine Bewusstseinsfrage: Die Vorstellung von Stadt, die Vorstellung von Zukunft. Solange diese neue Vorstellung in vielen Köpfen im Kontrast zu einer scheinbar bewährten, tradierten Vorstellung steht, kann man nicht einfach sagen, wir übertragen das jetzt mal auf 100 andere Bürgermeister.«
»Ich frage mich trotzdem, ob Sie nicht ein Prototyp eines neuen Politikers sind?«
Er sagt: »Das kann man nicht über sich selbst sagen.«
Also sage ich es. »Sie symbolisieren doch eine neue Kultur, wenn Sie aktiv die Sachen umsetzen, von denen Sie sprechen, und als Oberbürgermeister mit dem Fahrrad kommen?«
»Das stimmt. Es gibt einige Dinge, bei denen ich mich bewusst abgrenze von überkommenen Politikmodellen und Vorstellungen von Politikern. Das macht einem Ärger,
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