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Das Leben ist eine Oeko-Baustelle

Das Leben ist eine Oeko-Baustelle

Titel: Das Leben ist eine Oeko-Baustelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Paul
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Prozent. Die große, spannende und bis auf Weiteres offene Frage ist, ob selbst jemand wie Palmer eine Stadt annähernd da hinbewegen kann. »Es ist ehrgeizig, aber machbar«, sagt er, »vor allem durch Wärmedämmung und Umstellung auf erneuerbare Energien.«
    »Das ist eine einschneidende Veränderung«, sage ich, »wissen Ihre Bürger, was für einen Schritt in die Zukunft sie da gehen?«
    Zum einen gehe es nicht nur um engagierte Bürger, es gehe um Entscheidungen, die die Kommune hart treffen muss, um Energieeffizienz und Eigenproduktion von sauberem Strom voranzubringen. Das und das Bürgerengagement muss man miteinander kombinieren.
    Klimakultur bedeutet, dass bestimmte Dinge selbstverständlich werden, dass die Veränderung positiv besetzt ist, dass man weniger Autoverkehr in der Stadt als Qualitätsgewinn sieht und nicht als Verzicht. Ist das in Tübingen so?
    »Ich hoffe, dass die Leute Lust auf mehr haben«, sagt Palmer. »Aber ich muss schon zugeben, dass das ständige Betonen eines Themas für den Oberbürgermeister auch Friktionen verursacht. Dass manche auch fragen: Kann er sich nicht auch mal um was anderes kümmern?«
    In der Gemeindeordnung steht Klimaschutz noch nicht mal drin.
    Im Sommer 2010 wurde Palmers Tochter geboren. Seine Lebensgefährtin Franziska Brantner ist auch Politikerin und sitzt im EU-Parlament. Beide haben beruflich einen 16-Stunden-Tag, sagt Palmer. Keiner hat ein Auto. Sie erzählte mal, sie habe von ihren Eltern eines zum 18. Geburtstag bekommen. Und es dann wegen der Umwelt nicht benutzt. Er nahm zwei Monate Elternzeit, was auch Aufsehen erregte: Geht denn das? »Manche Leute haben sich mehr Gedanken über die Elternzeit des OB gemacht als über das Klima«, sagt Palmer.
    Boris Palmer ist Jahrgang 1972. Er wuchs in Geradstetten auf, das ist eine 4 000-Einwohner-Gemeinde östlich von Stuttgart. Er war Waldorfschüler. Palmers Vater Helmut war ein in Baden- Württemberg bekannter Bürgerrechtler. Der Sohn machte das Abitur mit 1,0 als Jahrgangsbester. Kam mit 28 in den Landtag von Baden-Württemberg. Kein abgebrochener Student und Taxifahrer wie Joschka Fischer aus der ersten Grünen-Generation, eher ein zielstrebiger Musterschüler.
    »Haben Sie sich als Nerd gefühlt in der Schule?«
    »Den Begriff gab es nicht. Da hieß es noch Streber.«
    »Galten Sie als Streber?«
    »Es gab eine kurze Phase, wo ich hätte abgleiten können, aber da hat die Schule gut interveniert und mich rausgenommen aus Unterrichtseinheiten, wo ich zu gut war. Ich ging dann in die nächsthöhere Klasse oder machte in der Zeit Defizitausgleich.«
    »Wo mussten Sie Defizite ausgleichen?«
    »In Sport.«
    Das hätte ich nicht gedacht. Und schon gar nicht mehr, nachdem Palmer am Nachmittag zwei städtische Dienstfahrräder aus der Rathausgarage holt und mit mir quer durch Tübingen radelt – er vorneweg und ich hinterher.
    Tübingen ist eine Universitätsstadt 40 Kilometer südlich von Stuttgart. Hat 87 000 Einwohner, darunter etwa 25 000 Studieren de, was die Stadt jung macht und die Wähler auch. Palmer sagt mehrfach, dass Tübingen »anders« sei als andere Städte und er schon im benachbarten Reutlingen nicht gewählt worden wäre.
    Ich frage ihn: »Wäre das Tübinger Modell dennoch auf andere und auch auf größere Städte zu übertragen?«
    »Richtig ist, dass jede Stadt anders ist und andere Voraussetzungen hat. Wenn man ein Stadtwerk hat, das einem zu 100 Prozent gehört, kann man anders agieren, als wenn man es verkauft hat oder nie eins hatte.«
    Eigene Stadtwerke braucht man?
    »Es ist ein Riesenplus.«
    Er erklärt es: Palmer ist Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke und der Südweststrom, das ist ein Verbund von 50 Stadtwerken und regionalen Stromversorgern. Kommunen, das ist seine Politik, sollten ihren Strom selbst produzieren, und das umweltfreundlich. Das soll die Stärke der Kommune erhöhen und die Abhängigkeit von den vier großen Energiekonzernen verringern, die den Strommarkt in Deutschland unter sich aufgeteilt haben. Mit einer Beteiligung an einem Windkraftpark in der Nordsee, zwei Wasserkraftwerken am Neckar, Fotovoltaikanlagen und einem schon vor Palmer vorhandenen Bestand an klimafreundlicher Stromproduktion will Tübingen schon 2011 über 40 Prozent des Strombedarfs der Stadt selbst produzieren.
    »Welche Voraussetzungen hat Tübingen nicht?«
    »Wir haben keine Straßenbahn in der Stadt. Und wenn Sie keine Windkraftstandorte in der Umgebung genehmigt bekommen wie wir,

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