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Das Leben ist groß

Das Leben ist groß

Titel: Das Leben ist groß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Dubois
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nicht. Mir auch nicht besonders, dabei war er kein so schlechter Mensch, wie du wahrscheinlich glaubst.«
    Er sah sie an und schwieg. Seine Körpertemperatur normalisierte sich, und er begann zu glauben, dass das, was er sich gerade einbildete, wirklich geschah.
    »Darf ich reinkommen?«, fragte sie.
    Es war merkwürdig, dass er am liebsten nein sagen wollte. Er wollte die Tür schließen und vor Erschöpfung zusammenbrechen; seine Wohnung wurde so schon genug von Geistern heimgesucht, und wenn er Elisabeta hereinließ, und sei es nur für eine Stunde, wusste er nicht, ob er es überhaupt noch dort aushalten würde.
    »Das mit deinen Mitarbeitern tut mir leid«, sagte sie.
    »Ja.«
    »Ich habe es in den Nachrichten gesehen.«
    »Ja, du darfst reinkommen.«
    Er trat zur Seite und hielt ihr die Tür auf, und als sie an ihm vorüberging, wurde ihm schlagartig bewusst, wie absonderlich es war, in ihrer Nähe zu sein. Hier war sein Körper, und da war ihrer, und er konnte die Arme ausstrecken und sie zu sich heranziehen, wenn er wollte – und das hatte er immer gewollt. Aber er hätte nicht sagen können, ob das hier nun besser war oder schlechter oder deprimierenderweise ganz egal. Er bot ihr mit einer leeren Geste einen der Stühle im Arbeitszimmer an. Dann bemerkte er, dass sie alle mit Papieren vollgestapelt waren, und fegte die Dokumente zu Boden.
    »Magst du etwas trinken? Tee oder …« – er sah, wie sie die Wodkaflasche bemerkte, deren Kondenswasser auf die Morddrohungen troff, und konnte sich vorstellen, auf was für ein abstruses Abendprogramm diese Zusammenstellung schließen ließ – »oder irgendwas?«
    »Tee«, sagte sie. »Bitte.«
    Er starrte sie hilflos an, dann ging er Tee kochen. Nina hatte ihr gesamtes Arsenal dagelassen, und er suchte etwas aus, von dem er hoffte, dass es möglichst bitter und unnachgiebig war – dass es schmeckte, wie wenn man eine Chance verpasst und es viel, viel zu spät bereut. Wusste sie denn nicht, wie unerbittlich sie ihn jahrzehntelang gequält hatte? War es der Grausamkeiten noch nicht genug? Flüchtig wurde ihm bewusst, dass sie gekommen sein könnte, um ihn zu töten – sie wäre nicht die Erste, die es versuchte, und sie war schließlich lange mit einem Parteibeamten verheiratet gewesen, der vermutlich mit der gegenwärtigen Regierung enge Bande unterhalten hatte. Einmal Tschekist, immer Tschekist, wie Putin selbst gern sagte. Dazu kam noch, dass Alexander diese Frau nicht richtig kannte – nicht wirklich, eigentlich überhaupt nicht. Es wäre naiv gewesen, sich über irgendetwas zu wundern, das sie tat. Außerdem wäre es peinlich, ziemlich peinlich sogar, sich vor einem teuren und technisch anspruchsvollen Flugzeugattentat zu retten, bloß um eine Woche danach in seiner Wohnung umgebracht zu werden, in Pantoffeln, mit dem Teekessel in der Hand.
    Er blieb in der Küche, bis der Kessel kreischte, dann brachte er ihr eine Tasse auf dem Tablett.
    »Danke«, sagte sie.
    Er wollte einsilbig und zurückhaltend sein wie sie. Er wollte sie unbedingt quälend lange auf die Anschuldigungen warten lassen, mit denen sie sicher rechnete. Aber er konnte es nicht. Die Worte sprudelten aus ihm heraus, ohne auch nur die erste Sichtkontrolle abzuwarten. »Ich hätte niemanden sonst hier reingelassen, weißt du«, sagte er. »Ohne Begleitung und ohne Termin. Vielleicht meinen Leibwächter. Vielleicht einige meiner Mitarbeiter. Sonst gibt es im Moment niemanden, glaube ich.«
    Sie trank einen Schluck Tee. Falls er ihr Schmerzen bereitete, wusste sie es zu verbergen. »Dann vertraust du mir?«
    »Ich vertraue dir nicht. Dass ich dich reingelassen habe, hat nichts mit Vertrauen zu tun.«
    Sie sah aus dem Fenster. »Du vertraust mir nicht. Das ist merkwürdig.«
    Er schnaubte verächtlich. Es war ein Skandal, dass sie überhaupt herkam – nach all den Jahren und nach allem, was er ihretwegen durchgemacht hatte, auch wenn er einsah, dass sie nicht alles davon wissen konnte. Aber ganz davon abgesehen war er jetzt eine bedeutende Persönlichkeit, und er war bedeutende Risiken eingegangen, und er hatte keinerlei Grund, sich unangekündigte Besuche gefallen zu lassen, schon gar nicht von ihr. Sie hatte in einem anderen Leben einen anderen Mann gekannt, und auch den nur sehr flüchtig.
    »Du hast einen Funktionär geheiratet.« Er bemühte sich, gleichgültig zu klingen, als sei das eine neutrale Tatsache, an die er sie hilfreicherweise erinnern wollte. Er hoffte, das sei grausam von ihm. Er

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