Das Leben ist zu kurz für Knaeckebrot
Schwangerschaften waren herrlich - endlich durfte ich einen Bauch haben.
Beim Stillen nimmt man automatisch ab, las ich in Elternratgebern. Komisch, nur ich nicht. Im Gegenteil, die Prinzenrolle wurde damals mein bester Freund. Bei jeder Ausfahrt mit dem Kinderwagen ging ich an einem kleinen Kiosk an der Isar vorbei und wurde jedes Mal schwach, wurde immer dicker und gleichzeitig immer verzweifelter. Kennen Sie den Vorsatz: Heute nicht? Und währenddessen steckte ich schon Kleingeld ein für den Kiosk. Ich war zu der Zeit arbeitslos, unglücklich und ziemlich einsam als Mutter. Ich hatte keine Familie in München, keine Mutter oder Schwiegermutter, keine Schwägerinnen, mit denen ich mal hätte
reden können. Da habe ich erstmals nach den vielen wilden Jahren in München meine Familie vermisst.
Nach einem Jahr bekam ich eine Riesenchance. Ich sollte im Rahmen einer ABM-Stelle (Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des Arbeitsamts) für eine politische Stiftung ein Buch machen. Und zwar ein Buch über den Arbeiterwiderstand in der Nazizeit. Ich stürzte mich voll Elan in diese Arbeit. Machte Interviews mit damals noch lebenden Zeitzeugen. Lernte, was Mut und Zivilcourage ist und wann »Neinsagen« wirklich ein Risiko ist. In diesem Jahr nahm ich ohne Zutun einige Kilo ab. Aber es war kein Thema für mich. Es war so egal, es gab so viel Wichtigeres. Das Buch erschien 1982: »Halt’s Maul, sonst kommst nach Dachau«.
Die ABM-Stelle lief aus und über Kontakte bekam ich eine Stelle als Sekretärin im Münchner Rathaus. Durch eine Kollegin dort lernte ich die Methode des Heilfastens kennen, Anfang der Achtziger las jeder und jede in meinem Bekanntenkreis Fastenbücher. Das kann ich auch, dachte ich, packen wir den Teufel Essen bei den Hörnern. Und ich nahm tatsächlich, während ich voll arbeitete, über 20 Kilo in sechs Wochen ab. Wie das ging? Nur Säfte trinken und dünne Gemüsesuppen essen - sonst so gut wie nichts.
Ich will, dass sich Frauen endlich bewusst werden, was sie ihrem Körper antun, wenn sie ihn so sehr hassen. Wenn sie ihn so sehr mit Hunger malträtieren, wie ich es getan habe, nur weil sie einem Ideal entsprechen wollen: Du kannst dein Leben verlieren. Ich war magersüchtig. Ich war in der Hölle.
Crystal Renn, Model, 23, hungerte sich fast zu Tode, am Schluss hatte sie nur noch 38 Kilo. Das hat sie in ihrem Buch »Hungry« 11 beschrieben. Heute arbeitet sie als »Übergrößen-Model« mit Größe 42! Drücken Sie dieses Buch Ihrer Tochter in die Hand, wenn sie auch davon träumt, ein Supermodel zu sein.
Es war ein grandioser Erfolg, der mir wirklich leicht fiel. Nichts essen, stellte ich fest, war nach wenigen Tagen einfacher als ein bisschen essen. Ich fühlte mich heroisch und euphorisch (seltsamerweise Vokabeln, die ich heute im Zusammenhang mit Anorexie-Patientinnen lese, die Nichtessen als autonomen Akt verstehen), bis mir in einem kreisrunden Haarausfall die Haare ausgingen. Ob es einen Zusammenhang gab, konnte mir damals niemand sagen.
Aber ich kehrte reumütig in die Welt des Kochens und Essens zurück. Mit dem Ergebnis, dass ich zu Beginn der Schwangerschaft mit meinem zweiten Kind wieder knapp 90 Kilo wog. Diesmal nahm ich in der Schwangerschaft 23 Kilo zu, hinterher 10 Kilo ab.
Die nächsten Jahre war ich mit Mann, zwei Kindern, meiner Arbeit, inzwischen als Redakteurin bei der Zeitschrift ELTERN und dort Betriebsrätin, voll ausgelastet. Das Gewicht spielte nur am Rande eine Rolle. Ich bewegte mich viel mit den Kindern, wir gingen schwimmen und radelten viel. Ich war trotz meiner 85 Kilo ziemlich fit. Ich trug
Jeans und legere Pullover, Freunde nennen das auch meine »Müsli-Zeit«. Ich war engagierte Gewerkschafterin, politisch aktiv und legte keinen Wert auf modisches Aussehen. Das änderte sich erst, als ich 1989 zu einer Frauenzeitschrift wechselte.
Plötzlich war ich die dickste, unmodischste, unangepasste - ich begann, mich wirklich unwohl zu fühlen unter vielen Salatblatt kauenden, Fitness fixierten Fashion Victims. Und was weiß ich heute? Stress macht dick. Jede Diät hat mich wieder nach oben katapultiert. Als die Waage wieder über 100 Kilo zeigte, begann eine Jahre andauernde Zusammenarbeit mit den Waagewächtern, den Weight Watchers, die einer luxemburgischen Investmentgesellschaft gehören, und die wiederum einem belgischen Keksfabrikanten! Das wusste ich damals allerdings nicht.
Und die Umsätze mit unglücklichen Dicken sind gewaltig! Letztes Jahr haben allein bei
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