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Das Leben ist zu kurz für Knaeckebrot

Titel: Das Leben ist zu kurz für Knaeckebrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Asgodom , Peter Gaymann
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nur zwei Möglichkeiten, mich zu retten: Laut »Muttiiiiii« schreien oder gleich beißen. Heute würde man sagen »zickig werden«. Da fällt mir ein, dass ich als kleines Mädchen Hippchen oder Zicklein genannt wurde (eine Hippe ist im Plattdeutschen eine Ziege). Aha. Auf jeden Fall, »stark werden« war mein großes Ziel. Wie ein großer Junge bzw. stark wie ein Mann. Tja.
Wie ein dickes Mädchen sich mächtig fühlte
    Stark sein heißt, sich wehren können, niemandem ausgeliefert sein, unversehrt bleiben. Viele Frauen, die ich interviewt habe, haben mir diese »Vorteile« des Dickseins bestätigt. Dick gleich stark - das ist eine interessante Spur. Beispielsweise bei Steffi Denk, einer gefeierten Sängerin. Sie werden später mehr von ihr erfahren. Jetzt nur ganz kurz: Sie war schon als kleines Kind dick und sehr kräftig. In der Grundschule hat sie sich beim Armdrücken den Respekt der Jungs verschafft. Von da an war sie der Bodyguard für die Mädchen in der Grundschule, wie sie erzählt.
    Beim Wechsel in die Hauptschule dachte sie: »Ich bin so stark, mir kann niemand was.« Im Bus zur Schule waren
plötzlich wesentlich ältere Fahrschüler, die ihr das Leben schwer machten. Sie riefen: »Hey, du Fass, steig nicht hinten ein, dann kippt der Bus um«. Gröl. - Steffi tat so, als hätte sie es nicht gehört, aber das höhnische Gelächter brannte sich in ihre Seele ein. So ging es Tag für Tag.
    Eines Tages hatte sie einen riesigen Schirm dabei, weil es regnete. Und eine »Scheiß-Stimmung«, wie sie selbst erzählt. Als der 13-jährige Wortführer der Bus-Quäler-Gang wieder anfing, sie zu ärgern, nahm die Elfjährige ihren Riesenschirm - »und dann habe ich ihn richtig verdroschen. Ich habe nicht mehr denken können, nur auf ihn eingehauen, bis er wie ein kleines Kind geheult hat.«
    »Und jetzt halt die Klappe«, hat sie dem Burschen dann gesagt. Er und seine Freunde waren tatsächlich mucksmäuschenstill.
    Steffi Denk: »Von dem Tag an war’s gut. Die haben mich nicht mehr geärgert. Das hat mir Respekt verschafft. Ich erinnere mich gern daran, ich habe mich so befreit gefühlt, ja, mächtig!«
    Was kann ein dickes Kind lernen? Sich ohnmächtig oder mächtig fühlen; jedes Lästern zu hören oder darüber hinweg zu hören; sich starke Freundinnen zu suchen oder Einzelgängerin zu werden; sich zur Dicken abstempeln zu lassen oder andere Talente, wie zum Beispiel Humor, zu entwickeln. Sich zu fügen oder trotzig zu werden, nach dem Motto: Euch zeig ich’s.
    Da passt der Frauenspruch aus den Achtzigern: Du bist nicht auf der Welt, um so zu sein, wie andere dich haben wollen. Ein richtiger Spruch, den ich auch gern anderen Frauen sage. Sollen die anderen sich nur wundern! Erst spät ist mir aufgegangen: Ich habe durch meine Trotzreaktionen nur einer geschadet - mir selbst.

    Du bist nicht auf der Welt, um so zu sein, wie andere dich haben wollen!
    Ich wollte meiner Mutter trotzig zeigen, dass ich nicht dünn sein muss, um »eine richtige Frau« zu sein und einen Mann abzukriegen. Hah! Na gut, fett zu werden war nicht die geschickteste Möglichkeit. Meine Mutter wohnte immer weit entfernt, 23 Jahre lang sogar in Spanien, und hat mich vielleicht gerade zwei Mal im Jahr gesehen. Also, wen habe ich tatsächlich bestraft? Mich selbst.
    Ich wollte trotzig »der Gesellschaft« zeigen, dass man auch als Dicke erfolgreich sein kann. Ja, das habe ich geschafft. Schaut: Ich bin dick, aber klug, aktiv und tüchtig. Wer ist schon »die Gesellschaft«? Ich habe den Preis gezahlt, einen hohen Preis. Dick sein als politische Aussage ist ein fragwürdiges Mittel.
    (Vielleicht kennen Sie die Aussage: »Fett ist das gelebte Nein«. Sprich, die Frauen sind dick, die sich gegen Männer schützen wollen. Die also das Nein bereits in ihre Figur gepackt haben. Also, ich weiß nicht. Wenn es so ist, dann wird es Zeit, dass Frauen »nein« sagen lernen, klar und deutlich. Doch dazu später mehr.)
    Die Öffentlichkeit interessiert sich jedenfalls überhaupt nicht für meine tägliche tapfere Beweisführung. Im Gegenteil: Dicke darf man immer noch öffentlich diskriminieren und beleidigen. Man darf sie im Fernsehen vorführen und man darf ihnen Charakterschwäche und Labilität unterstellen, sie in die Nähe von Fixern und Spielsüchtigen rücken. Die Grünen-Politikerin Renate Künast äußerte sogar öffentlich ihr Unbehagen über »Bäuche, die sich in unseren Alltag drängen«.

    Dicke sind die Sündenböcke der Nation.
     
    Dicke

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