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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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bei ihm, in der Hoffnung, er würde nach meiner Hand greifen oder den Arm um meine Schulter legen. Sollte ich mich nach seinem Vater erkundigen? Sollte ich die Krankenhausserie erwähnen? Ich räusperte mich. »Wie hat dir ...?«
    »Hey, schau dir das an, Georgia.«
    Er war an einem Stand für Sekundenkleber stehen geblieben, um sich ein Foto anzusehen. Es war die ziemlich beunruhigende farbige Großaufnahme eines Hinterns, der an einer blauen Plastikklobrille klebte. Bei dem Winkel, aus dem das Foto aufgenommen war, war nicht zu erkennen, ob es sich um einen Männerhintern oder um einen Frauenhintern handelte. Offensichtlich war das Foto im Krankenhaus entstanden: im Hintergrund stand jemand mit OP-Handschuhen und Mundschutz. Die Vorstellung, so etwas mitzumachen - am Klo kleben zu bleiben und Hilfe rufen zu müssen, und dann brechen Fremde die Tür auf, montieren die Klobrille ab und bringen einen ins Krankenhaus, es wird herumtelefoniert (sicher wurde in so einer Situation ein Experte wie Nathan zu Rate gezogen), um nach möglichen Lösungsmitteln zu fragen. Und die ganze Zeit würdest du dich fragen, wer den Kleber auf die Klobrille getan hatte; das heißt, wahrscheinlich wüsstest du genau, wer es war. Du würdest vor Wut kochen. Und dabei vollkommen hilflos sein. Und dann wird auch noch ein Foto für die Akten gemacht. Alle behandeln dich mit Ernst und Respekt, aber hinter deinem Rücken biegen sie sich vor Lachen. Auf der Tafel neben dem Foto stand nur: CYANOACRYLAT AXP-36 C EIN GEFÄHRLICHER STREICH »Du meine Güte«, sagte Nathan. Ehrlich gesagt, keine schlechte Idee, dachte ich.
     
    Am nächsten Stand gab es einen Schaukasten zur Geschichte des Klebstoffs. Da waren Fotos von Bäumen, aus denen Gummi oder Harz troff, das von dunkelhäutigen Männern in kleinen Bechern aufgefangen wurde. Da war ein Bild, das zeigte, wie aztekische Baumeister Blut in ihren Mörtel mischten. Auf der Tafel stand, die aztekischen Gemäuer seien so stabil, dass sie selbst Erdbeben widerstanden. Anscheinend war Blut eine klebrige Sache - klebriger als Wasser. Ich versuchte es mit einer neuen Taktik.
    »Du und dein Vater, ihr scheint euch sehr nahezustehen ...«, sagte ich vorsichtig.
    »Oh, ja. Tati.« Er machte eine Pause. Ich wartete, dass er fortfuhr, aber er schlenderte weiter und sah sich schweigend die Stände an. »Hast du immer mit ihm zusammengewohnt?« »Nein.«
    Ich folgte ihm zur nächsten Schautafel, streifte leicht seinen Arm, als er stehen blieb, doch er schien es nicht zu bemerken.
    »Meine Eltern leben in Yorkshire«, erklärte ich. »Sie fehlen mir. Aber ich könnte nicht mit ihnen zusammenleben.«
    »Ich weiß auch nicht, ob ich es noch lange mit Tati aushalte.«
    Ich streifte ihn wieder, diesmal mit mehr Entschlossenheit. Meine Intentionen mussten doch völlig klar sein. Er schlug sein Notizbuch auf und kritzelte etwas hinein.
    »Daraus können wir einen hübschen Artikel für
Klebstoffe in der modernen Welt
machen, Georgia«, sagte er. »Etwas über die Geschichte des Klebens. Klebstoff -gestern und heute. Was meinst du?«
    Vielleicht stand er einfach nicht auf mich. Vielleicht war ich ihm nicht intelligent genug. Vielleicht hatte er etwas mit einer anderen Frau am Laufen. Der Gedanke stimmte mich finster.
    »Mmh. Gute Idee.«
    »Oder sogar: Klebstoff - gestern, heute und morgen.« Die Designerstoppeln an seinem Kinn glitzerten silbrig, als er sprach.
    »Ich weiß nicht, ob ich das mit dem Morgen hinkriegen würde.«
    Ich dachte an Mrs. Shapiro. Wenn du einen guten Mann siehst, musst du zuschnappen. Sollte ich einfach zuschnappen?
    »Du könntest ein bisschen spekulieren. Klebstoff aus recycelten Einkaufstüten. Klebstoff aus Fettabsaugungsnebenprodukten. Klebstoff aus streunenden Hunden und Katzen. Klebstoff aus ausgekochten illegalen Einwanderern. Eingeschmolzenen Unerwünschten.« Er grinste mich von der Seite an. »Nein?«
    »Wie die Nazis aus Juden Leim gemacht haben?«
    »Es war sogar besonders guter Leim. Jetzt versuchen die Juden aus den Palästinensern Leim zu machen. Weniger erfolgreich.« Er flüsterte. »Sie sagen, Gott hätte es ihnen befohlen.«
    Ich starrte ihn an. Wie konnte er darüber Witze machen? Anscheinend sah er meinen Blick.
    »Tut mir leid, das mit dem Leim meinte ich nur metaphorisch. Dass es alles ein klebriger Schlamassel ist. Und ich meinte den israelischen Staat, nicht die Juden. Das ist ein großer Unterschied.«
    »Wirklich?« Wovon zum Teufel redete er? »Ich glaube, ich

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