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Das Leben kleben

Das Leben kleben

Titel: Das Leben kleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Lewycka
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Veranda und begann zu jaulen. »Was ist denn los?«
    Ich wollte ihn streicheln, doch er fauchte mich an und schlug mit ausgefahrenen Krallen nach mir. Ich gab ihm einen kleinen Tritt mit dem Gummistiefel und ging einkaufen.
    Später am Nachmittag rief ich wieder bei Mrs. Shapiro an. Immer noch keine Antwort. Das war seltsam. Ich fing an, mir Sorgen zu machen. Warum war sie so früh hinaus in den Schnee gegangen? Dann kam Ben von der Schule und ich machte Abendessen. Ich rufe später an, dachte ich.
    Gegen sieben klingelte das Telefon. Es war die heisere, kehlige Stimme einer alten Frau.
    »Sie ist hier.«
    »Wie bitte?«
    »Ihre Freundin. Sie ist hier. Aber sie hat ihren Morgenmantel nicht dabei.«
    »Tut mir leid. Ich glaube, Sie haben sich verwählt.«
    »Nee, hab ich nicht. Sie hat mir die Nummer gegeben. Sie sind doch die, die sie im Krankenhaus besucht hat? Die so fein daherredet? Sie hat mir Ihre Nummer gegeben. Die Frau mit dem rosa Morgenmantel. Sagt, sie will ihren Morgenmantel wieder haben. Und ihre Hausschuhe.«
    Endlich begriff ich, dass es die Übergeschnappte war.
    »Oh, vielen Dank, dass Sie anrufen. Ich ...«
    »Und sie sagt, wenn Sie kommen, können Sie ihr auch ein Päckchen Zigaretten mitbringen.«
    Es piepte, dann war die Leitung tot. Sie hatte wahrscheinlich das Münztelefon im Krankenhaus benutzt.
    Ich sah auf die Uhr. Die Besuchszeit endete in einer halben Stunde. Ich hatte Mrs. Shapiro den Hausschlüssel zurückgegeben, also packte ich meine eigenen Hausschuhe ein, ein Nachthemd und Stellas Bademantel.
    »Ich muss noch mal weg, Ben«, rief ich nach oben, dann lief ich zur Bushaltestelle.
    Der Schnee war geschmolzen, und es war überraschend mild. Ich ging schnell und versuchte dabei den Schneematschpfützen auszuweichen. Der Zeitungskiosk an der Bushaltestelle war noch offen. Sollte ich ihr Zigaretten mitbringen? Oder würde ich damit Krankheit und Tod unterstützen? Wahrscheinlich. Ich kaufte trotzdem welche.
    Als ich ankam, hing die Übergeschnappte am Ausgang herum. Ich sah, wie sie einen Besucher ansprach, der gerade ging, und sich eine Zigarette schnorrte. Sie trug immer noch die flauschigen himmelblauen Keilslipper, inzwischen mehr grau als blau, auch ihre Zehen waren blaugrau in der kalten Luft, die gelben Zehennägel verkrusteter als je zuvor. Ich kam mir vor wie ein Schmuggler, der Konterbande brachte, als ich ihr die Zigaretten gab, die sie hastig einsteckte. »Danke, Schätzchen. Sie ist in der Eisenstation.«
    Es dauerte eine Weile, bis ich Mrs. Shapiro auf der Isis-Station fand. Ich sah sofort, dass sie in einer schlimmen Verfassung war. Ihre Wange war blau, ein Auge fast zugeschwollen, und sie trug einen dramatischen Verband um den Kopf. Sie streckte die Hand aus und griff nach meinem Arm.
    »Georgine. Gott sei Dank sind Sie da.« Ihre Stimme war schwach und rau.
    »Was ist denn passiert?«
    »Ich bin in den Schnee gefallen. Alles gebrochen.«
    »Ich habe Ihnen die Sachen mitgebracht, die Sie haben wollten.« Ich nahm die Kleider aus der Tasche und legte sie in ihr Nachtschränkchen. »Ihre Freundin hat mich angerufen.«
    »Die ist nicht meine Freundin. Die ist meschugge. Sie will immer nur Zigaretten.«
    »Aber was ist denn passiert? Ich war heute bei Ihnen, um zu fragen, ob Sie irgendetwas brauchen.«
    »Jemand hat heute früh angerufen. Hat gesagt, meine Katze wäre im Park oben auf einem Baum und käme nicht mehr runter.«
    »Wer hat angerufen? Jemand, den Sie kennen?«
    »Ich weiß nicht. Ich dachte, Wonder Boy wäre auf dem Baum. Wonder Boy ist nicht gut im Klettern.« »War er es?«
    »Ich weiß nicht. Hab ihn nicht gesehen. Jemand hat mich geschubst. Ich bin ausgerutscht und gestürzt. Da haben sie mich wieder ins Krankenhaus gesteckt.«
    Die Besuchszeit war zu Ende, und die Leute waren bereits auf dem Weg zum Ausgang.
    »Sie kümmern sich um Wonder Boy und füttern ihn, nich wahr, Georgine? Der Schlüssel ist in der Manteltasche, wo er immer ist. Danke, Georgine. Sie sind mein Engel.«
    Ich muss sagen, für einen Engel war ich ziemlich schlecht gelaunt. Nachbarschaftshilfe war schön und gut, aber alles hatte seine Grenzen. Trotzdem nahm ich wieder den Schlüssel aus der Tasche ihres Persianers und schloss mich dem Strom der Besucher an, die zum Ausgang gingen. War es wirklich ein Unfall gewesen, fragte ich mich auf dem Heimweg. Oder hatte jemand sie hinaus in den Schnee gelockt und ihr mit Absicht einen Stoß gegeben? Was hatte Mrs. Goodney gesagt? »Wir wollen es doch

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