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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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Aber die dicke Luft zwischen uns beiden war noch undurchdringlicher als die Masse der Autos um uns herum. Ich fragte mich, warum der Mann, der neben mir am Steuer saß, der Vater meines Kindes, mir bloß so fremd geworden war. Eine große Traurigkeit überfiel mich.
     
    Schließlich setzte ich mich durch und telefonierte doch noch mit meiner Mutter. Danach saßen Ian und ich weiterhin schweigend nebeneinander. Ich war unruhig und konnte es nicht erwarten, meine Tochter wiederzusehen. Gleichzeitig wanderten meine Gedanken immer wieder zum Flughafen zurück, wo Marvin und ich uns gerade verabschiedet hatten.
    Ich wagte es nicht, Ian ins Gesicht zu sehen, aus Angst, er könnte in meinen Augen lesen, was in der vergangenen Nacht im Flugzeug passiert war. Also wandte ich meinen Kopf von seinem starren Profil ab und schaute aus dem Fenster.
    Genau in diesem Moment fuhr der Heathrow Gatwick Express , der Passagiere vom einen zum anderen Flughafen beförderte, an unserem Wagen vorbei, einem hohen Geländewagen, dessen Fenster fast auf der Höhe des Busses lagen. Geistesabwesend schaute ich zu dem Gefährt hinüber, das sich zwei Spuren neben uns befand. Mir stockte der Atem – und ich hoffte inständig, dass Ian es nicht gemerkt hatte. Denn dort in dem Bus saß Marvin, nur wenige Meter entfernt! Mit gesenktem Kopf, wahrscheinlich in ein Buch oder eine Zeitschrift vertieft. Seine schwarze Lederkappe und das blaue Jeanshemd ließen keinen Zweifel zu. Erschrocken schaute ich weg, aus Angst vor meiner eigenen Reaktion.
    Zum Glück verschoben sich die Autoschlangen in den verschiedenen Spuren so, dass der Express-Bus hinter uns zurückblieb. Nach einer Sekunde der Erleichterung wünschte ich mir aber mit aller Kraft, er würde wieder aufholen und Marvin auf meine Höhe zurückbringen. Und in der Tat, er schloss auf. Marvin hob jedoch immer noch nicht den Kopf. Dann folgte ein zermürbendes Sich-Annähern und Wieder-Auseinanderdriften der beiden Fahrzeuge, das wohl eine halbe Stunde andauerte, bis Ian verkündete, er werde jetzt eine andere Strecke nehmen, nicht die übliche, um dem zähflüssigen Verkehr zu entkommen. Obwohl ich innerlich vollkommen aufgewühlt war, betete ich ein letztes Mal, Marvin möge nur einmal aufschauen, mir nur noch einmal die Gelegenheit geben, in sein Gesicht zu sehen. Aber es sollte nicht sein.
    Von der Heftigkeit meiner Gefühle überwältigt, stieß ich einen tiefen Seufzer aus, als wir schließlich in eine Seitenstraße einbogen.
    »Was ist?«, fragte Ian.
    »Ach, ich bin nur müde.«
     
    Nach einer Weile fand ich mich mit dem Gedanken ab, dass ich Marvin nie wiedersehen würde. Doch es sollte alles anders kommen. Zunächst ging das Leben in Bracknell seinen vertrauten Gang. Ian und ich kehrten zum Alltag zurück und versuchten die Risse in unserer Ehe zu kitten. Aber keiner von uns beiden wurde dadurch glücklicher, und wir wussten, dass unsere Trennung nur eine Frage der Zeit war. Sogar das Thema Scheidung schnitten wir an. Ian gab mir die Schuld an unseren Zerwürfnissen, er hatte den Eindruck, selbst alles versucht zu haben. Mich fand er undankbar und zu fordernd. All meine Erklärungen, dass ich mir etwas anderes von ihm gewünscht hatte, stießen auf taube Ohren. Ich fühlte mich wie eines seiner Kinder, schlimmer noch, wie ein Teil seines Mobiliars, ohne eigene Identität. So wollte ich nicht weiterleben.
     
    Der zweite African Screenwriting Workshop fand sechs Monate nach dem ersten statt. Diesmal wollte ich Akinyi mitnehmen. Auf dem Weg nach Simbabwe wollte ich in Nairobi Station machen und sie bei meiner Mutter lassen, um dann nach dem Seminar zusammen mit den beiden drei Monate in Kenia zu verbringen. Mittlerweile hatten Ian und ich tatsächlich die Scheidung eingereicht, und ich fühlte mich erschöpft von den häuslichen Spannungen. Ich freute mich auf eine lang ersehnte Erholungspause in meiner Heimat.
    In den ersten Tagen vor dem Workshop wohnten Akinyi und ich bei meiner Freundin Keziah in Nairobi, die angeboten hatte, sich in meiner zweiwöchigen Abwesenheit mit meiner Mutter die Betreuung meiner Tochter zu teilen.
    Gerade spielte ich mit ihr im Garten, als Keziahs Haushaltshilfe mich ans Telefon rief:
    »Ein Anruf für dich aus dem Ausland!«
    Ich lief ins Haus und übernahm den Hörer in der Annahme, es sei Ian.
    »Hallo«, sagte eine leise, tiefe Stimme. »Erinnerst du dich noch an mich?«
    »Ich weiß nicht genau«, sagte ich zögernd. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen.

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