Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Und dann platzte es aus mir heraus: »Wie hast du mich ausfindig gemacht?« Die Schmetterlinge im Bauch waren augenblicklich wieder da.
»Ob du es glaubst oder nicht, dein Mann hat mir diese Nummer gegeben.«
»Was? Wie? Was hast du ihm gesagt?«, stammelte ich.
»Ich habe nach dir gefragt, und er hat mir diese Nummer gegeben«, sagte Marvin trocken. Ich merkte ihm aber an, dass er sein Glück noch nicht ganz fassen konnte, mich wirklich am anderen Ende der Leitung zu haben. »Ich glaube, er hat mich für einen Bruder von dir gehalten, der in den USA lebt, für einen gewissen Mark, kann das sein?«
»Mark!« Laut lachte ich auf, fast hysterisch angesichts der Ironie des Schicksals.
»Ja, ich habe einen Bruder in Amerika, der Mark heißt. Soweit ich weiß, lebt er wie du in Kalifornien.«
»Ein glücklicher Zufall«, sagte Marvin.
Ich erzählte ihm, wie nah wir einander auf der Fahrt durch London gewesen waren, er im Express-Bus, ich mit Ian im Auto, damals, nach unserer Begegnung. Dann erfuhr ich, dass er mir einmal eine selbst gebastelte, als Gewinngutschein getarnte Karte geschickt hatte, die ich aber nicht als solche erkannt, sondern wohl gleich in den Müll geworfen hatte. Er hatte sich an meinen schon damals geplanten zweiten Workshop in Simbabwe erinnert. Deshalb rufe er an, sagte er, auch er werde zu dieser Zeit wieder dort sein.
Ich konnte es kaum fassen. Schließlich vereinbarten wir ein Treffen in Simbabwe, dort wollte er mir Genaueres zu seinen weiteren Reiseplänen sagen.
Sosehr ich mich auch freute, ihm erneut zu begegnen, beim Gedanken daran war mir zugleich mulmig. Ich kannte ihn überhaupt nicht. Wie würde dieses Zusammensein verlaufen, wie würde es enden?
»Bist du nicht nervös?«, fragte ich ihn.
»Nein, nur aufgeregt bei der Vorstellung, dich wiederzusehen«, sagte er mit einem verführerischen Unterton in der Stimme.
Ich lachte. Ich war glücklich und versuchte, meine Ängste beiseitezuschieben. Wir verabschiedeten uns, und ich blieb noch eine Weile neben dem Telefon sitzen. Nein, so hatte ich meine Afrikareise wirklich nicht geplant.
Als er das Restaurant betrat, hatte ich beinahe einen ganzen Tag auf ihn gewartet. Zur verabredeten Uhrzeit war er nicht erschienen, und so hatte ich eine Stunde ausgeharrt und war schließlich in mein Hotel zurückgefahren, wo ich eine Nachricht von ihm vorgefunden hatte: Er habe den Zug verpasst und müsse auf einen Bus warten, das könne Stunden dauern, leider.
Am Vortag war ich in Harare angekommen, vor mir lag ein freies Wochenende, da der Workshop erst am Montag beginnen sollte. Da auch mehrere andere Teilnehmer früher eingetroffen waren, hatten die Veranstalter uns zum Grillen eingeladen. Ich hatte mir eine Ausrede überlegt, um für meine Verabredung frei zu sein. Und nun musste ich mich in Geduld üben.
»Entschuldige die Verspätung«, sagte Marvin, als er sich endlich zu mir setzte. Er trug einen Strohhut und ein Hawaiihemd und sah sehr amerikanisch aus.
»Kein Problem. Ich hatte sowieso nichts anderes vor.«
Wir lächelten einander über den Tisch hinweg an und genossen es, uns in aller Ruhe betrachten zu können, ohne das Halbdunkel und die Anspannung der ersten Begegnung. Schließlich durchbrach er das Schweigen:
»Wer hätte das gedacht?«
»Wer hätte das gedacht!«, wiederholte ich.
Er nahm meine Hand. »Wer hätte gedacht, dass wir uns so bald wiedersehen würden?«
»Dass wir uns überhaupt wiedersehen würden«, korrigierte ich lächelnd.
»Stimmt. Wer hätte gedacht, dass wir überhaupt aufeinandertreffen?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Es sollte wohl so sein.«
So trat Marvin erneut in mein Leben. Ja, es sollte so sein.
An den nächsten beiden Tagen seines Aufenthalts in Harare sahen wir uns fast ununterbrochen. Da er die Stadt gut kannte, zeigte er mir, wo er seine kunstgewerblichen Gegenstände einkaufte und noch andere schöne Plätze. Er ging mit mir essen und verwöhnte mich. Wir redeten pausenlos. Er erzählte von sich, von seinen zwei Töchtern, und dass er – was ich zuerst nicht glauben wollte – schon Großvater sei.
Durch die Aufregung des Wiedersehens vergaßen wir, einander nähere Informationen zum weiteren Verlauf unserer Reisen zu geben. So nahm ich fälschlich an, er sei in Kenia, während ich mich in Südafrika aufhielt, wo man mich nach dem Workshop zu einem Filmfestival eingeladen hatte. Später erfuhr ich, dass er zur gleichen Zeit dort war wie ich; nach Kenia kam er erst am Ende
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