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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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seiner Geschäftsreise.
    Daher überraschte mich nach meiner Rückkehr aus Südafrika erneut ein Anruf in Keziahs Haus. Marvin hielt sich seit einer Woche in Nairobi auf und war überzeugt, ich sei noch in Südafrika. Er hatte einfach nur versuchen wollen, mich zu erreichen. Ich war furchtbar enttäuscht, dass wir uns verpasst hatten, zumal noch am selben Abend seine Maschine ging. Ein Treffen am Flughafen schien unsere letzte Chance zu sein, aber aus zeitlichen Gründen gelang uns auch das nicht. So eine Tragödie! Aber konnte ich mich beklagen? Dass unsere Wege sich wieder gekreuzt hatten, war erstaunlich genug. Ich hatte mehr bekommen, als ich mir je erträumt hatte.
     
     
     
     
     

25
     
    Die Scheidungsverhandlung verlief nahezu problemlos. Beim Verlassen des Gerichtssaals atmete ich erleichtert auf: In meinem Leben begann nun ein weiterer Abschnitt. Zugleich aber meldete sich große Angst vor einem Neuanfang. Vier Jahre hatte ich an Ians Seite in England verbracht. Gemeinsam hatten wir unser zweistöckiges Einfamilienhaus in Bracknell bezogen, und anschließend war ich die ganze Zeit, bis auf kurze Unterbrechungen, Hausfrau und Mutter eines Kleinkindes gewesen. Alles, was jenseits dessen lag, hatte Ian erledigt. Ich wusste nicht einmal, wie man Strom und Wasser bezahlte. Irgendwie hatte ich vergessen, dass ich mich vor meinem Umzug nach Großbritannien jahrelang allein um all meine Angelegenheiten gekümmert hatte. Die vielen Aufgaben, die nun auf mich zuzukommen schienen, erschreckten mich.
    Ian behielt das Einfamilienhaus, während Akinyi und ich in ein kleines Zwei-Zimmer-Reihenhaus zogen, in dem mir die Eingewöhnung sehr schwerfiel. Ich funktionierte wie ein Roboter, kümmerte mich um meine Tochter, versuchte, den anfallenden Papierkram korrekt zu erledigen und hielt nach einem Job Ausschau. Abends saß ich allein vor dem Fernseher.
    Mit Marvin stand ich hauptsächlich über E-Mail in Kontakt, jedoch auch nur sporadisch. Was ich mir damals als große Liebe vorstellte, war in der Realität etwas Einseitiges, von mir Ausgehendes. Unserem gelegentlichen Austausch entnahm ich, dass Marvin, obwohl er sich sehr zu mir hingezogen fühlte, in einer Phase seines Lebens steckte, in der er überhaupt keine Beziehung eingehen wollte. Bald nach unserer Begegnung trennte er sich von seiner Freundin und genoss das Alleinsein. So ein Glück!, dachte ich frustriert. Ausgerechnet jetzt. Es erinnerte mich an meine Zeit in Deutschland, als alle auf dem Selbstfindungstrip waren. Auch damals hatte ich dieses Phänomen nicht verstanden. Entweder mochte man jemanden und wollte mit ihm zusammen sein – oder nicht. So einfach war das für mich. Die Annahme, dass Marvin mich nicht liebte, quälte mich, und doch konnte ich nicht loslassen. Ich sehnte mich nach ihm und nahm, gegen meine Vernunft, gierig all seine Anrufe an und antwortete umgehend auf alle E-Mails, auch wenn ich manchmal Wochen auf eine weitere Reaktion von ihm warten musste.
     
    Nach und nach fasste ich Fuß in meinem neuen Dasein in Bracknell, fand Arbeit in einer Marketingfirma und schaffte es, damit die Ausgaben für das Haus, das Essen und Akinyis Kindergartenplatz zu bezahlen. Zwar war die Tätigkeit nicht sehr interessant, aber ich lernte Leute kennen, und fast unmerklich verließ mich die Einsamkeit, die mich so lange in England begleitet hatte. An ihre Stelle trat eine beruhigende Routine, das kleine Haus wurde gemütlich, und ich lernte mein neues Leben schätzen.
    Aus finanziellen Gründen übernahm ich an den Wochenenden, die Akinyi bei ihrem Vater verbrachte, einen Job in der Altenpflege. Auf diese Weise gewann ich unverhofft einen Einblick in das Leben alter Menschen in England. Ich war schockiert, wie viele von ihnen allein waren. Oft waren sie auch noch krank und benötigten intensivere Hilfe. Tagelang sahen sie niemanden, einzig die uniformierten Pfleger, die wie ich kurz vorbeischauten und schnell das Nötigste erledigten. Dass wir immer in Eile waren, lag daran, dass uns für jeden dieser Frauen und Männer nur eine streng begrenzte Zeit zur Verfügung stand, maximal eine Stunde, meist kaum mehr als eine halbe. So bereitete ich bei meinen Hausbesuchen rasch eine Mikrowellenmahlzeit zu, half dem alten Menschen aus dem Bett oder machte ihn dafür fertig, unterstützte ihn beim Waschen oder Baden und plauderte ein paar Minuten mit ihm – ständig mit einem Seitenblick auf die Uhr, da ich manchmal pro Tag bis zu zwölf Besuche zu absolvieren

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