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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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Lederkappe verdeckt wurde.
    Da ich es mir angewöhnt hatte, beim Start zu lesen, war ich bald in mein Buch vertieft – oder glaubte es zumindest, denn immer wieder entfernte sich mein Blick von den Seiten und wanderte zu dem Fremden hinüber, der inzwischen seine Kappe abgenommen hatte, sodass sein kahl geschorener Kopf zu sehen war.
    Ich flog zwar damals noch nicht so viel wie heute und kam gern mit anderen Passagieren ins Gespräch, aber noch nie hatte ein Mitreisender meine Aufmerksamkeit derart erregt wie dieser Mann. Vergeblich versuchte ich mich auf mein Drehbuch zu konzentrieren. Ich merkte, wie nervös ich war. Ich konnte einfach nicht mehr still sitzen. Also erhob ich mich und ging zur Toilette. Dort stand ich in der lächerlich kleinen Kabine und blickte in den Spiegel. »Was ist bloß los mit dir?«, redete ich auf mein Spiegelbild ein. »Du kennst den Mann doch gar nicht!« Ich klopfte mir auf die Wangen, wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser und bemühte mich, wieder zur Vernunft zu kommen. Aber es war nichts zu machen.
    Als ich wieder Platz genommen hatte, zog es mich erneut mit aller Kraft zu ihm, mit einer geradezu körperlich spürbaren magnetischen Kraft, die stärker war als ich. Wieder floh ich in die Toilettenkabine und führte Selbstgespräche. »Du hast noch nicht einmal sein Gesicht gesehen!«, hielt ich mir vor. Ich wurde einfach nicht schlau aus mir. »Interessierst du dich etwa für den kahlen Hinterkopf eines fremden Menschen?« Kopfschüttelnd verließ ich den Ort und kehrte erneut zurück zu meinem Sitz. Doch der Wunsch, diesen Mann kennenzulernen, ließ nicht nach.
    Er saß am Fenster, allein in einer Dreierreihe. Auch ich hatte nach meinem anfänglichen Platzwechsel eine Dreierreihe für mich okkupiert, um die Nacht im Flugzeug liegend verbringen zu können.
    Plötzlich fiel mir ein, dass der Mann genau in der Reihe saß, die ich selbst verlassen hatte, um mir eine bessere zu suchen. Wäre ich an meinem auf der Bordkarte vermerkten Platz geblieben, säße ich jetzt also neben ihm!
    Das muss Schicksal sein, dachte ich, obwohl ich überhaupt nicht abergläubisch bin – und dann kam mir die rettende Idee. Ich würde meinen alten Platz einfach wieder einnehmen! Ich hatte jetzt einen guten Grund, mich neben ihn zu setzen. Mein Herz klopfte wie wild, und ich spürte, wie meine Handflächen feucht wurden. Das kannst du doch nicht machen!, sagte eine innere Stimme. Aber ich hing wie ein ferngesteuertes Wesen an einem unsichtbaren Draht, glich einer willenlosen Marionette. Ein drittes Mal begab ich mich zu der engen, inzwischen schon vertrauten Toilettenkabine. An den mitleidigen Blicken einiger Mitreisender erkannte ich, dass sie hinter meinem wiederholten Drang, diesen Ort aufzusuchen, irgendwelche Magen-Darm-Probleme vermuteten. Ganz unrecht hatten sie nicht. Denn vor lauter Nervosität war mir inzwischen übel.
    »Jetzt gehst du hin und verlangst deinen Sitz zurück. Er kann nicht nein sagen.« So machte ich mir vor dem Spiegel Mut. »Es ist ja dein Platz, oder?« Ich schaute mir streng in die Augen. Oh Gott, er darf nicht merken, wie durcheinander ich bin.
    Jemand versuchte die Toilettentür aufzumachen. Draußen vor der Tür warteten also Passagiere, zumindest einer. Ich war diesmal lange in dem kleinen Raum geblieben, und vor lauter Anspannung wäre ich am liebsten gar nicht mehr herausgekommen. Doch es ging nicht anders, ich musste den Raum frei machen. Langsam ging ich zu meinem Platz zurück. Mit den ruhelosen Toilettengängen, entschied ich währenddessen, ist jetzt Schluss. Ich würde der magnetischen Anziehungskraft einfach nachgeben. Kurz entschlossen zog ich die zuvor zur Beruhigung aufbewahrte kleine Flasche Wein, die zum Essen serviert worden war, aus der Tasche meines Vordersitzes und ging den Gang entlang nach vorne.
    »Ähm … Ich … Das hier ist mein Platz.« Ich zeigte auf den Sitz am Gang. »Ich … äh, hatte mich umgesetzt, aber …«, stotterte ich, »… ich langweile mich da hinten … ganz alleine. Kann ich ihn wiederhaben?« Die letzten Worte hängte ich noch rasch an, bevor mich der Mut zu verlassen drohte.
    Der Mann sah mich zuerst verblüfft an, dann lächelte er.
    »Natürlich.« Er hatte eine tiefe Stimme und einen amerikanischen Akzent.
    Ich setzte mich und steckte das Weinfläschchen in die Lehnentasche vor mir. Der Sitz zwischen uns blieb leer. Ich wagte nicht, den Mann anzuschauen.
    Er war es, der sich mir schließlich mit einem freundlichen,

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