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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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teilnahm, was sie auch anstellten. Das machte er mir besonders dann deutlich, wenn es aus irgendwelchen Gründen zu Handgreiflichkeiten kam. Geriet ich zum Beispiel in einen Streit mit einem Mädchen, das mich herausgefordert hatte, hielt er sich tunlichst abseits. Während die anderen Mädchen in der Regel Unterstützung von ihren älteren oder sogar jüngeren Brüdern erhielten, schaute Abongo nur desinteressiert zu, wie wir aneinandergerieten. Selbst wenn ich ernsthaft in der Klemme steckte oder gleich von mehreren vermöbelt wurde, verließ er seinen Beobachtungsposten nicht. Oft holte dann eines der anderen Kinder unseren Koch Obanda zu Hilfe. Oder Obanda erfuhr von den Auseinandersetzungen, wenn ich mit vom Nasenbluten befleckter Kleidung nach Hause zurückkehrte. Dann regte er sich jedes Mal über Abongo auf.
    »Warum hilfst du denn deiner Schwester nicht?«, fragte er ihn erbost.
    »Sie ist selbst schuld«, murrte Abongo. »Sie ist es doch immer, die sich den Ärger zuzieht.«
    »Was hast du gesagt?«, fragte Obanda mit drohender Stimme.
    »Nie kann sie den Mund halten. Ich bin doch nicht für sie zuständig!«
    Jetzt wurde Obanda laut.
    »Bis du verrückt?«, schimpfte er. »Du bist für sie verantwortlich! Du bist doch ihr größerer Bruder, oder etwa nicht? Wer soll denn sonst auf sie aufpassen?«
    Abongo zuckte mit den Schultern und blickte zu Boden. Wir hatten beide Angst vor Obanda. Er arbeitete schon lange in unserem Haus und kümmerte sich neben dem Kochen noch um viele andere Angelegenheiten, die meinen Vater betrafen. Folglich stand er ihm sehr nah. Wir Kinder fürchteten immer, Obanda würde ihm, der für uns ein großes, Ehrfurcht gebietendes Mysterium war, von unseren Schandtaten berichten, und wir bekämen dann eine Menge Ärger. Außerdem wäre Obanda notfalls nicht davor zurückgeschreckt, die Hand gegen uns zu erheben. Er hatte dazu den Segen unseres Vaters. In unserer Kultur erziehen nicht nur die Eltern die Kinder, in ihrer Abwesenheit ist es ganz natürlich, dass jemand wie Obanda in ihre Rolle schlüpft. Obwohl der Koch sehr streng war und wir große Angst vor ihm hatten, blickte er doch über vieles gnädig hinweg und verschonte uns im Grunde so manches Mal vor den Rügen unserer Eltern.
    Wenn mein Bruder ermahnt wurde, blühte ich auf. Jetzt würde Abongo etwas erleben, dachte ich, der blöde Kerl, der mir niemals beistand. Während ich die schmerzlichen Folgen der Rangeleien mit den anderen Kindern in allen Knochen spürte, wartete ich gespannt darauf, dass mein Bruder seine gerechte Tracht Prügel erhielt. Nur so würde er endlich einsehen, dass es seine Aufgabe war, mich zu verteidigen. Zumal ich selbst jedes Mal mit in den Ring sprang, wenn er sich mit anderen Kindern schlug, und dabei oftmals blaue Flecken davontrug. In den meisten Fällen jedoch kam Abongo nur mit einer Ermahnung davon.
    Damals verstand ich nicht, warum mein Bruder mir nie half und warum er so oft abweisend oder wütend auf mich reagierte. Erst Jahre später, als wir schon erwachsen waren und ich die Zusammenhänge unseres komplizierten Familienlebens zu durchschauen begann, konnte ich erahnen, wie es ihm damals ergangen ist. Mit sechs Jahren wurde er von seiner leiblichen Mutter getrennt und aus seiner gewohnten ländlichen Umgebung in die Stadt und dazu noch in eine fremde Familie verpflanzt. Das Oberhaupt dieser Familie, sein eigener Vater, war ihm fremd, und die Frau, die er nun »Mutter« nennen sollte, erst recht: Sie war eine Weiße. Bis dahin hatten wir Kinder kaum oder zumindest nie bewusst Kontakt zu Weißen gehabt. Und wie viele Kinder vom Lande hatten wir anfangs vermutlich Angst vor der Frau mit der bleichen Hautfarbe.
    Abongo, der zwei Jahre älter war als ich und schon einigermaßen begriff, was mit ihm geschah, muss sich mit dieser neuen Situation sehr schwergetan haben. Bestimmt vermisste er unsere Mutter entsetzlich, und zugleich musste er mit ansehen, wie ich ahnungslose Vierjährige mich rasch den neuen Umständen anpasste. Kein Wunder, dass mein »Verrat« eine große Wut in ihm auslöste. Und weil ich später von unseren Eltern manchmal bevorzugt behandelt wurde, da ich das einzige Mädchen blieb, verstärkte sich dieser Zorn. Ich musste daher wohl oder übel lernen, mich nicht darauf zu verlassen, dass mein Bruder oder irgendjemand sonst mir aus der Patsche half.
     
    Wir Kinder aus Woodley passten unsere Spiele am liebsten aktuellen Sportereignissen an. So zum Beispiel der Safari Rallye

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