Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
Vom Netzwerk:
einer flachen Strecke an einem Hang veranstaltete. Obwohl ich damals eine begeisterte Anhängerin dieses Spiels war und darin mit der Zeit immer geschickter wurde, sind einige der Narben, die ich mir damals zuzog, noch heute erkennbar.
     
    Obwohl ich oft mit den Jungen spielte, verbrachte ich genauso viel Zeit mit meiner Freundin Carole. Wir trafen uns praktisch jeden Tag, meist bei mir. Bei ihr hatte ich immer das Gefühl, dass ihre Mutter von meiner Anwesenheit nicht begeistert war. Zwar äußerte sie sich nie entsprechend, aber an ihrem Verhalten spürte ich, dass sie mich nicht mochte. Ich glaube, es war ihr nicht recht, dass die beste Freundin ihrer Tochter ein schwarzes Mädchen war. In den frühen sechziger Jahren, kurz nach dem Ende der Kolonialzeit, hatte sie hinnehmen müssen, dass viele Afrikaner in ihre Nachbarschaft zogen, in der früher nur Weiße lebten. Dass meine Stiefmutter weiß war, milderte mein Schwarzsein in ihren Augen zwar vermutlich ein wenig ab – und gewiss duldete sie nur deshalb meine Freundschaft mit ihrer Tochter –, doch die Tatsache, dass Ruth mit einem Afrikaner verheiratet war, brachte mit Sicherheit einen erheblichen Punkteabzug.
    Die Freundschaft mit Carole hielt nur bis zum Ende der Grundschulzeit. Danach trennten sich unsere Wege, da ich auf eine andere Schule kam als sie. Wenig später zog Caroles Familie als eine der letzten weißen Familien aus Woodley fort. Nach und nach hatten alle Weißen dieses Viertel verlassen, und neben den afrikanischen Familien blieben jetzt nur noch ein paar wenige indische zurück. Carole sah ich nie wieder. So endete eine fast sechsjährige Freundschaft, ohne dass sich eine von uns beiden je wieder nach der anderen erkundigte.
    Kurz vor Caroles Fortgang war auch die Familie meiner Freundin Sharon weggezogen. Sie verließ das Land, als bekannt wurde, dass das ugandische Staatsoberhaupt Idi Amin die indische Bevölkerung massenweise aus seinem Land vertrieb. Er behauptete, sie würden das Land ausbeuten und den Einheimischen die Möglichkeit nehmen, am wirtschaftlichen Erfolg Ugandas teilzuhaben. Aus Furcht davor, in Kenia könnte ihnen das gleiche Schicksal widerfahren, beschlossen Sharons Eltern schließlich, nach Kanada auszuwandern.
    Innerhalb kürzester Zeit und aufgrund von Ereignissen, die ich nicht beeinflussen konnte, musste ich erleben, wie sich meine Welt abermals drastisch veränderte. Von der vertrauten Grundschule wechselte ich ans Gymnasium, meine zwei besten Freundinnen zogen aus der Nachbarschaft fort, und – was mich am härtesten traf – meine Stiefmutter ließ sich dann von meinem Vater scheiden und verließ uns für immer zusammen mit meinen zwei jüngeren Brüdern.
    Diesmal aber war ich regelrecht froh, ins Internat zu kommen, denn bei uns hatte sich eine beklemmende Leere breitgemacht. Nicht nur, weil meine Stiefmutter fort war, sondern auch, weil sie viele Haushaltsgegenstände mit sich nahm, wodurch die Räume kahl und trist aussahen, so, als lebte niemand mehr darin. Das Haus wurde zu einem stillen, bedrückenden Ort. Darüber hinaus wurde Ruth die einzige Immobilie unseres Vaters – sie befand ich in Lavington, einem vornehmen Viertel Nairobis – nach der Scheidung zugesprochen. Damit verlor er den Großteil seines Vermögens.
    Man hätte annehmen können, Abongo und ich wären uns in unserem gemeinsamen Schicksal etwas nähergekommen. Doch das Gegenteil war der Fall. Mein Bruder zeigte kaum Interesse an mir, hänselte mich gern und tat so, als machte es ihm überhaupt nichts aus, dass drei wichtige Menschen aus unserem Leben verschwanden. Erst Jahre später gestand er mir, dass auch er sich nachts in seinem Zimmer vor lauter Kummer in den Schlaf geweint hatte.
     
     
     
     
     

6
     
    Das neue Internat empfand ich, die Dreizehnjährige, als wahre Rettung. Ohne die Geborgenheit der Kenya High School hätte ich möglicherweise mein ins Wanken geratenes Gleichgewicht nicht so einfach wiedergefunden. Denn die sechs Jahre, die ich dort verbrachte, gehörten zu den schwierigsten in meinem Leben. Fern der Trümmer meiner einstigen Familie wurde dieses Mädchengymnasium zu einem zweiten, einem stabileren Zuhause. Eine geordnete Welt mit klaren Regeln und Strukturen verlieh mir den dringend benötigten Halt.
    Das große Angebot an schulischen und außerschulischen Aktivitäten erwies sich dabei als zusätzliche Hilfe. Man legte uns nahe, ausgiebig davon Gebrauch zu machen, und mit dieser großen Palette an

Weitere Kostenlose Bücher