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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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sondern auch im Alltag immer gut angezogen und ihr Äußeres sorgsam gepflegt hatte, um ihrem Mann zu gefallen, vernachlässigte sich nun, wusch sich nicht mehr und weigerte sich, ihr Haar zu frisieren oder die Kleidung zu wechseln. Sie war verbittert. Jahrelang hatte sie auf ihren Mann gewartet, um nun, bei seiner Rückkehr, von ihm verstoßen zu werden. Wie sollte es jetzt weitergehen? Ihre Situation erlaubte es ihr nicht, für Unterhalt und Schulgeld ihrer beiden Kinder aufzukommen. Doch eine gute Schulbildung war in den sechziger Jahren das höchste Ziel, das Eltern für ihre Kinder anstrebten. Bislang hatten ihr Mann und dessen Familie für das Finanzielle gesorgt.
    Das Arrangement zwischen meinen Eltern ist mir nicht genau bekannt, aber eines steht fest: Meinem Vater ging es finanziell wesentlich besser als meiner Mutter. Denn einen im Ausland ausgebildeten Akademiker erwarteten tatsächlich attraktive berufliche Möglichkeiten. Er bekam rasch eine Stelle bei dem Ölkonzern Shell und ein üppiges Gehalt, was ihm erlaubte, ein sehr komfortables Leben zu führen. Sehr zum Ärger meiner Mutter. Warum sollte nur sie leiden?, muss sie sich gefragt haben. Hätte sie nicht die Schule abgebrochen, um meinem Vater zu folgen, besäße sie jetzt zumindest die Möglichkeit, eine Arbeit zu finden, um sich und ihre Kinder zu versorgen und ihnen eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Angesichts dieses Dilemmas entschloss sich meine Mutter schweren Herzens, Abongo und mich zu unserem Vater zu bringen. Wir sollten einfach eine ordentliche Ausbildung erhalten, und so kamen mein Bruder und ich zu ihm nach Nairobi.
    An die Reise in die Großstadt erinnere ich mich nicht mehr, ebenso wenig an den Abschied von meiner Mutter und die erste wirkliche Begegnung mit meinem Vater. Ich weiß heute nur noch, dass für uns Kinder ein ganz neuer Lebensabschnitt begann.
    Vor einiger Zeit gab mir meine Großmutter ein Bild, das sie in einem ihrer vielen Koffer gefunden hat. Darauf ist ein junger Mann mit einem Mädchen und einem Jungen zu sehen. Schützend legt der Mann, der hinter den Kindern auf einer Mauer sitzt und selbstbewusst in die Kamera lacht, seine Arme um die beiden Kleinen, die zwischen seinen gespreizten Beinen sitzen. Scheu und ein wenig ängstlich hält sich das Mädchen am Bein des Mannes fest. Ihr Gesicht ist leicht abgewandt, der Junge dagegen blickt unerschrocken in die Kamera. Eine Hand des Erwachsenen liegt auf seiner Schulter. Das Bild strahlt eine Einheit zwischen den drei Personen aus; für die Kinder scheint der Mann ein Ort der Geborgenheit zu sein. Auf der Rückseite des Fotos von meinem Vater, Abongo und mir ist das Jahr seiner Entstehung vermerkt: 1964 . Es ist auch das Jahr, in dem unser neues Leben in Nairobi begann.
     
     
     
     
     

5
     
    Als mein Bruder Abongo und ich zu meinem Vater übersiedelten, lebte er mit meiner Stiefmutter in Roselyn, einem vornehmen Stadtteil von Nairobi. Ein hochmoderner, auf einer sanften Anhöhe errichteter Bungalow wurde unser neues Zuhause. Das Gebäude besaß zwei Ebenen: Auf der oberen befanden sich Küche, Bäder und Schlafzimmer, auf der unteren der Wohnraum. Eine der Wohnzimmerwände war fast vollkommen verglast. Große Schiebetüren führten hinaus in einen riesigen Garten, an dessen Ende ein kleiner Wald aus hohen Bäumen stand. Seitlich grenzte eine Plantage mit ordentlich in Reihe gepflanzten Kaffeesträuchern an. Wir Kinder liebten die reifen Kaffeebeeren, die tiefrot und verlockend an den Zweigen hingen. Allen Warnungen zum Trotz aßen wir immer wieder von den leckeren Früchten, die uns regelmäßig Bauchschmerzen bescherten.
    Der große Garten war überhaupt ein herrlicher Ort für uns Kinder. In mancherlei Hinsicht erinnerte er mich an das Gehöft unseres Großvaters. Auch dort gab es viel Platz zum Spielen und zahlreiche Bäume, und auch dort grenzten an den Hof bebaute Felder. Das Anwesen selbst aber umgab eine Hecke aus hohen Bäumen und Buschwerk zum Schutz vor ungebetenem Besuch. Das Grundstück in Nairobi war dagegen nach allen Seiten offen. Problemlos konnte jeder eindringen, entweder vom Wald oder von einer Kaffeeplantage aus. Das trübte das schöne Gefühl, in freier Natur zu leben. Und tatsächlich kam es mehrmals zu Einbrüchen, bei denen unter anderem unser Fernseher und der Plattenspieler verschwanden. Durch die Plantage war es für die Diebe ein Leichtes, ungehindert zu flüchten.
    Eines Tages schaffte mein Vater daher – zu unserer großen

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