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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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Beziehungen zu einigen Lehrern hätte Miss Ndegwa es vermutlich geschafft, meine Verweisung von der Schule durchzusetzen. In einem Moment des Ärgers versicherte sie mir, dass sie darauf hinarbeite.
    Leider war ich nicht ganz unschuldig an ihrer Abneigung mir gegenüber. Wie vielen anderen Mädchen machte es auch mir einen Heidenspaß, die Hausmutter wegen ihres starken Akzents und ihrer etwas unproportionierten Figur zu veräppeln. Und anstatt zu versuchen, sie für mich einzunehmen, zeigte ich ihr nur zu deutlich, dass es mir egal war, ob sie mich mochte oder nicht.
    Obendrein hatte Miss Ndegwa gehörigen Respekt vor meinem Vater. Ob das nur an seiner imposanten Baritonstimme lag oder an etwas anderem, erfuhr ich nie. Jedenfalls drohte sie mir nicht damit, wie sie es meist bei anderen Mädchen tat, sie werde ihn bitten, mich für meine Schandtaten zu bestrafen. Vielmehr ließ die bloße Erwähnung meines Vaters sie verstummen oder auf die kraftlose Drohung ausweichen, sie werde bei der Schulleitung für meinen Verweis von der Schule sorgen.
    Miss Ndegwa verstand nicht, warum ein afrikanisches Mädchen nicht einfach tat, was man ihm sagte, sondern ständig alles hinterfragte und dazu noch eine eigene Meinung vertrat. Als ich eines Tages zu meiner großen Verwunderung erfuhr, dass man mich zur stellvertretenden Schulsprecherin ernannt hatte, war ich davon überzeugt, dass dies zum Teil geschah, weil ich mit dieser neuen Funktion in einen anderen Wohnblock umziehen musste und Miss Ndegwa mich endlich los war.
    Als stellvertretende Schulsprecherin war ich mit dafür verantwortlich, für Ordnung zu sorgen. Das bedeutete, dass ich mich um das disziplinierte Verhalten, die Manieren und das gepflegte Äußere der Schülerinnen zu kümmern hatte. Des Weiteren musste ich sie gemeinsam mit der Schulsprecherin gegenüber der Schulleitung und den Lehrkräften vertreten. Ein Grund für diese »Beförderung« war wohl auch der, dass ich bei den jüngeren Mädchen sehr beliebt war und Schulleitung wie Lehrer dies nutzen wollten. Während ich bislang als »Normalsterbliche« die reguläre Schuluniform getragen hatte – grauer Rock, weißes, kurzärmliges Hemd, rot-schwarze Krawatte und grauer Pullover –, durfte ich nun einen blauen Pullover tragen und gehörte fortan zu den mächtigen »Blue Rags«. Uns zur Seite standen noch die »Red Rags« (sie trugen weinrote Pullover und Krawatten), die aus der vierten, fünften und sechsten Oberstufenklasse gewählt wurden, aber längst nicht so viel wie wir zu sagen hatten.
     
    Jahre später, als ich nach meinem Studium in Deutschland an der Universität von Nairobi unterrichtete, wohnte ich nicht weit von der Kenya High School entfernt. Eines Tages, als ich gerade auf eine Telefonzelle zuging, trat ausgerechnet Miss Ndegwa aus dieser. Ich erschrak und fühlte mich um Jahre zurückversetzt. Instinktiv wollte ich mich umdrehen und verschwinden. Doch da ich genau vor ihr stand, war das nicht mehr möglich. Auch sie blickte mich unsicher an und schien sich am liebsten in Luft auflösen zu wollen. Dann fasste sie sich aber, setzte eine freundliche Miene auf und grüßte mich mit einem kalten Lächeln. Mir blieb nichts anderes übrig, als zurückzugrüßen. Sie stellte mir einige oberflächliche Fragen, hinter denen kein wirkliches Interesse zu spüren war.
    »Wie geht es dir? Was machst du inzwischen? Bist du verheiratet? Kinder?«
    Im Stillen sagte ich mir, sie würde in meinem Fall garantiert keine Erfolgsgeschichte erwarten, sondern rechne eher damit – wie sie es immer vorausgesagt hatte –, dass aus mir »nichts geworden« sei. Kurz und knapp beantwortete ich ihre Fragen und verabschiedete mich, ohne mein Telefonat auszuführen. Obwohl viele Jahre vergangen waren, hatte meine Abneigung gegenüber der Hausmutter nicht nachgelassen. Im Fortgehen lächelte ich voller Genugtuung vor mich hin. Ich hatte ihr genüsslich davon erzählt, dass ich vor einiger Zeit aus Deutschland gekommen sei, zurzeit an der Universität Nairobi Deutsch unterrichte und in Kürze wieder nach Deutschland zurückkehren würde, um dort zu promovieren. Nicht schlecht, lobte ich mich und dachte: Ihre Prophezeiungen haben sich nicht erfüllt.
     
    Trotz meiner Differenzen mit Miss Ndegwa genoss ich die Jahre an der Kenya High. Doch irgendwann näherte sich die Schulzeit ihrem Ende, und je näher dieses Ende rückte und je mehr Raum die Vorbereitungen für die Abiturprüfungen einnahmen, umso angespannter wurde ich.

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