Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
lächelte nicht, grüßte nur kurz und verschwand in einem der Zimmer, aus dem er erst wieder auftauchte, als das Abendessen aufgetragen wurde. Ich war vollkommen verwirrt. War dieser Mann wirklich mein Lieblingsonkel, der mich in Woodley auf dem Motorrad seines besten Freundes mitgenommen und uns so oft Süßigkeiten mitgebracht hatte? Dieser Mann hier war mir fremd. Ich spürte, wie das Gefühl der Einsamkeit, das mich seit der Auflösung unserer Familie so oft begleitet hatte, wieder in mir hochstieg. Neben meinem Vater und meinem Bruder war dieser Onkel alles, was noch von unserer einstigen Familie, ja, von einer ganzen Epoche übrig geblieben war. Er hatte bei uns gelebt, er musste doch verstehen, wie es mir ging. Aber sein Verhalten sagte klar und deutlich, dass er von uns nichts wissen wollte, dass wir eine zu große finanzielle Belastung für ihn darstellten.
Onkel Odimas Wohnung war sehr klein; neben dem Wohnzimmer gab es dort zwei kleine Schlafräume und eine winzige Küche. Eines der Schlafzimmer wurde meinem Vater zugewiesen, während mein Onkel und seine Frau sich das andere mit ihrem zweijährigen Sohn Daniel teilten. Und wo sollte ich schlafen? Verwirrt schaute ich mich um. Und wo nächtigte das Dienstmädchen, das in der Küche mit dem Geschirr klapperte?
Kurz nach dem Essen gingen alle ins Bett. Mein Vater war ausgegangen, was ich ihm nicht einmal übel nahm. Denn wie sollte man in einer Wohnung ausharren, in der eine so abweisende Atmosphäre herrschte? Unsere ganze Situation war für ihn als Vater vermutlich noch bedrückender als für mich.
Katherine löschte in der Küche das Licht und sagte mir im Vorbeigehen, ich könne mit dem Dienstmädchen im Wohnzimmer auf dem Boden schlafen. Wo Bettwäsche zu finden war, zeigte sie mir jedoch nicht. Also wandte ich mich an das Dienstmädchen. Sie wies auf eine dünne, zusammengerollte Matratze, die in einer Ecke stand, und eine braune Decke. »Du kannst meine Sachen mitbenutzen«, bot sie mir an. Ich bedankte mich und half ihr, die Möbel an die Wand zu rücken und die Matratze in der Mitte des Raumes auszurollen. Es war nicht das erste Mal, dass ich auf dem Boden schlief. Bei meiner Großmutter in Alego kam das oft vor. Aber dort war es immer ein Abenteuer, zusammen mit anderen Kindern auf einer riesigen Papyrusmatte zu schlafen. Meistens waren wir vom Spielen so müde, dass wir den harten Boden gar nicht spürten und sofort einschliefen. Aber an diesem Abend, bei meinem ehemaligen Lieblingsonkel, fand ich keinen Schlaf. Der Boden war aus Zement, durch die dünne Matratze hindurch spürte ich dessen Härte bei jeder Bewegung. Außerdem war es kalt zu zweit unter der dünnen Decke. Lange lag ich wach und fragte mich verzweifelt, wie ich die nächsten vier Wochen in diesem Haus überstehen sollte.
Am kommenden Morgen musste ich gemeinsam mit dem Dienstmädchen vor Sonnenaufgang aufstehen. Das Wohnzimmer musste wieder hergerichtet werden, da mein Onkel und seine Frau vor der Arbeit dort frühstückten. Mein Vater, der erst in der Nacht zurückgekommen war, schlief noch. Ich sollte bei der Vorbereitung des Frühstücks helfen, was mir ganz recht war, da ich nicht wusste, wohin mit mir. Und dass meine Tante es nicht gern gesehen hätte, wenn ich tatenlos im Wohnzimmer herumgesessen hätte, ahnte ich bereits. Doch da war noch der kleine Daniel. Auf seine Gesellschaft freute ich mich, denn sie versprach Ablenkung. Ich würde mich also um ihn kümmern. Doch leider klappte es nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Mit jedem Tag behandelte mich meine Tante ein bisschen mehr wie ein zweites Dienstmädchen, und bald fing auch Daniel an, widerspenstig und frech zu werden. Da ich glücklicherweise nicht auf ihn aufpassen musste, ignorierte ich ihn fortan, so gut es ging.
In Ngara kannte ich niemanden, und die fremde Umgebung flößte mir Angst ein. Daher blieb ich die meiste Zeit bei Katherine. Nur hin und wieder wurde ich zum Kiosk oder in ein Geschäft geschickt. Erst wenn ich es in der engen Wohnung gar nicht mehr aushielt, besuchte ich meine Tante Jane im Nachbarviertel Kariokor. Dort blieb ich dann so lange, bis die anbrechende Dunkelheit mich zwang, nach Ngara zurückzukehren. Jane, die jüngere Schwester meiner Mutter, freute sich immer, mich zu sehen, und hatte stets ein Lächeln für mich übrig. Doch abgesehen von den wenigen Besuchen bei meinem Vater – er war, nachdem er mich zu meinem Onkel gebracht hatte, in ein billiges Hotel gezogen –
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