Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
auf dem Schulgelände, und da sie anfangs kaum jemanden kannte, war sie viel mit uns Schülerinnen zusammen. Oft unterhielt ich mich stundenlang mit ihr über alles Mögliche. Da ich gern las, empfahl sie mir Bücher; im Gegenzug erklärte ich ihr die kenianischen Sitten und Bräuche. Besonders interessierte sie, warum wir »Bomanians« so »englisch« waren, so ganz anders, als sie es erwartet hatte. Amüsiert beobachtete ich, wie sie versuchte, uns für afrikanische Kultur und Musik zu begeistern. Ihre Bemühungen mussten aber mit unserer Leidenschaft für Michael Jackson, Marvin Gaye und Luther Vandross konkurrieren. Und bei diesem Wettstreit gingen die amerikanischen R&B -Sänger immer wieder als die klaren Sieger hervor. In unseren Augen standen diese Musikpräferenzen in keinerlei Widerspruch zu unserer »afrikanischen Identität«. Diese war für uns eine Selbstverständlichkeit, etwas, in das wir hineingewachsen waren. Wir zogen sie nicht in Zweifel und versuchten nicht, sie unter Beweis zu stellen. Das »Englische«, das Peggy Flint an uns sah – und das, wie unser musikalischer Geschmack bewies, mit viel »Amerikanischem« durchsetzt war –, nahmen wir entweder kaum wahr oder empfanden es als bloße Ergänzung zu dem, was wir ohnehin waren. So verwirrte uns die alles »Einheimische« fördernde Lehrerin nur mit ihrem Eifer, statt uns, wie sie es beabsichtigte, vom »Joch des Imperialismus« zu befreien.
Trotz ihrer kuriosen Fixierung auf alles »Afrikanische« war sie für mich eine große Hilfe in schwierigen Zeiten. Ich vertraute ihr und hatte das Gefühl, ihr alles erzählen zu können, ohne dass sie über mich urteilte oder mich zurechtwies.
Unterstützung erfuhr ich in diesen Jahren auch durch einige andere Lehrer, etwa durch Miss Wyatt, die aus England stammte, und Miss Ismail, eine Kenianerin asiatischer Abstammung. Miss Wyatt unterrichtete Hauswirtschaftslehre, ermutigte mich aber dazu, mich in der von mir gewählten Sportart, dem Schwimmen, stärker zu engagieren. Miss Ismail, unsere Sportlehrerin, förderte ebenfalls die Entfaltung meiner sportlichen Fähigkeiten. Und wenn sich in den Lehrerkonferenzen eine Pädagogin über mich beschwerte, legte sie stets ein gutes Wort für mich ein. Sie war es auch, die es mir ermöglichte, schon in jungen Jahren an unserer Schule Schwimmunterricht zu erteilen.
Obwohl ich von anderen Lehrerinnen ebenso Hilfe erhielt, schufen besonders diese drei den nötigen Raum, in dem ich mich ausdrücken, weiterentwickeln und mein Potenzial entfalten konnte. Später sollte noch meine Deutschlehrerin, Mrs. Kanaiya, die aus der DDR kam und mit einem Kenianer verheiratet war, ihren Anteil daran haben.
Unsere Deutschklasse bestand nur aus vier Schülerinnen, die alle hoch motiviert waren. Mrs. Kanaiya unterrichtete uns mit großem Enthusiasmus und arbeite nicht nur auf fachlicher Ebene mit uns, sondern setzte sich auch persönlich mit uns auseinander. Durch sie lernten wir vieles über die deutsche Sprache, die deutsche Kultur und die deutsche Geschichte. Wir diskutierten ausgiebig über Menschenrechte, die Stellung der Frau in der Gesellschaft und zahlreiche andere Themen, die wir in einer größeren Klasse niemals so ausführlich hätten behandeln können. Sie gab uns den Stern , den Spiegel und andere deutsche Zeitschriften und Zeitungen zu lesen. Mrs. Kanaiya war es, die mein frühes Deutschlandbild prägte und die Basis schuf, auf der ich später leicht einen Einstieg in die deutsche Gesellschaft fand.
Inzwischen waren glücklicherweise die Probleme mit dem leidigen Schulgeld überstanden, da ich über die »Kenya High« ein Stipendium für die beiden letzten Jahre vor dem Abitur erhalten hatte. Es war von einer in England aktiven Frauengruppe gespendet worden, die für verschiedene humanitäre Zwecke Geld sammelte. Von der Schulleitung war ich als Nutznießerin dieser Förderung ausgewählt worden.
Nun konnte ich mich sorglos auf das Leben und Lernen in der Schule konzentrieren. Meine Leistungen als Schwimmerin und Schwimmlehrerin machten mich bald bei den jüngeren Mädchen beliebt. Wir lachten auch viel zusammen und dachten uns gemeinsam Streiche aus. Im Internat zog ich mir damit die Missbilligung der Hausmutter Miss Ndegwa zu. Sie mochte mich ohnehin nicht besonders und kam mit meiner forschen Art nicht zurecht, sodass sich zwischen uns mit der Zeit eine Art Dauerkampf entwickelte. Ich sah also zu, dass ich ihr möglichst aus dem Weg ging. Ohne meine guten
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