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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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Über das, was danach kommen würde, hatte ich noch keine Überlegungen angestellt. Zwar hatte ich mich in Nairobi an den beiden staatlichen Universitäten beworben und mich nach einem Auslandsstipendium umgesehen, doch wie es zu Hause in der Familie weitergehen würde, wusste ich nicht. In die häusliche Leere zurückzukehren, konnte ich mir einfach nicht vorstellen.
    Meine unterschwelligen Ängste machten sich auf Umwegen Luft. So auf einem Schulausflug der »Blue Rags«. Wir kamen gerade von einem Abend im New Stanley Hotel zurück, wo wir Cilla Black auf der Bühne erlebt hatten. Um die dreißig Mädchen hatten einen Weltstar gesehen und waren übermütig und aufgekratzt. Alle redeten durcheinander. Jede wollte ihren Kommentar zu dem Beobachteten abgeben, der Geräuschpegel im Schulbus stieg gewaltig. Wie immer saß ich ganz hinten und mischte eifrig mit. Die beiden Lehrerinnen, die uns begleiteten, Miss Oluoch und Miss Doyle, hatten alle Mühe, unsere Lautstärke einzudämmen. Gerade fuhren wir auf das Schulgelände, da machte eine von uns einen blöden Witz, und wir brachen wieder in unbändiges Gelächter aus. Am lautesten war es hinten im Bus.
    Plötzlich erhob sich Miss Doyle, eine Engländerin, und kam nach hinten marschiert.
    »Jetzt reicht’s! Ich habe endgültig genug von dir!« Verwundert stellte ich fest, dass ich allein die Zielscheibe ihres Zorns war. »Was denkst du eigentlich, wer du bist?«, schrie sie mich an. »Dieses Benehmen werde ich nicht dulden. Hast du mich verstanden?« Vor Wut war sie vollkommen rot im Gesicht.
    »Was habe ich denn getan?«, fragte ich entgeistert. Ich hatte mich nicht anders verhalten als alle anderen Mädchen auch.
    »Du hältst mich wohl für dumm. Aber das bin ich nicht! Ich weiß genau, dass du mit diesem Lärm angefangen hast.«
    Für kurze Zeit war ich sprachlos. Wieso ich? Wir lachten doch alle?
    »Wir …« Wieder versuchte ich mich zu verteidigen.
    »Ich will nichts mehr von dir hören!«, fuhr sie dazwischen. »Du bist jetzt sofort ruhig!«
    Im Bus war es mucksmäuschenstill geworden, alle Mädchen starrten Miss Doyle an. Noch nie hatten wir eine Lehrerin so wütend erlebt, und keiner von uns begriff, was sie dermaßen in Rage versetzt hatte.
    »Aber ich war es nicht!«
    »Sag nicht, dass du es nicht warst. Ich weiß, dass du es warst. Du denkst, du kannst machen, was du willst. Aber nicht mit mir!«
    Sie ließ nicht locker. Ich sei die Anstifterin, ich solle dazu stehen und aufhören zu lügen, schrie sie.
    Da zersprang plötzlich etwas in mir. Völlig unerwartet brach ich in Tränen aus. Ich klappte regelrecht zusammen. Wie eine erschlaffte Stoffpuppe saß ich da und weinte hemmungslos. Eine Schleuse hatte sich geöffnet, und der Tränenstrom ließ sich einfach nicht mehr eindämmen. Alle erschraken, besonders Miss Doyle, die nun versuchte, mich mit allen Mitteln zu beruhigen. Aber es war zwecklos. Sosehr ich es auch versuchte, ich konnte nicht aufhören zu heulen.
    Und plötzlich, zur allergrößten Verwunderung meiner Mitschülerinnen und der zweiten Begleitlehrerin, fing auch Miss Doyle an zu weinen. Niemand wusste Rat. Unter Tränen sagte die Engländerin, sie habe schon immer gewusst, dass ich sie hasste, deswegen hätte ich mich auch ständig über sie lustig gemacht, nur um sie zu ärgern. Schluchzend bedauerte sie ihren Wutausbruch und dass sie nicht anders mit der Situation fertig geworden sei.
    Ich verstand nicht, wovon sie sprach, mein Weinkrampf schüttelte mich und wollte nicht aufhören. Als sie mich auf einmal tröstend an sich ziehen wollte, zuckte ich zurück. Da weinte auch sie wieder los. Keines der fassungslosen Mädchen verließ den Bus, es herrschte nur Hilflosigkeit. Wir waren schon längst vor einem der Internatshäuser angekommen. Lange würde es nicht mehr dauern, bis drinnen die Lichter angingen und die verschlafenen Gesichter neugieriger Mädchen am Fenster erschienen.
    Plötzlich schlug eine der »Blue Rags« vor, Peggy Flint zu holen, da bekannt war, dass ich mich gut mit ihr verstand. So stieg wenig später meine Lieblingslehrerin zu uns in den Bus. Dreißig Augenpaare blickten ihr gespannt entgegen. Als sie mich weinend auf der hinteren Bank sitzen sah, ging sie sofort zu mir, bückte sich und fragte, was denn los sei. Ich versuchte zu antworten, aber statt Worten kamen nur Schluchzer und Tränen.
    »Du brauchst etwas zur Beruhigung«, sagte Peggy Flint schließlich und bat den Fahrer, der immer noch geduldig, wenn auch etwas

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