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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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Ernte ein, sorgten sich um die Lagerung des Getreides. Bei den Tieren waren sie für die Ziegen, Schafe und Kälber zuständig, und für den Fall, dass die Männer in den Krieg zogen, lernten sie, die Rinder zu hüten. Und natürlich kümmerten sie sich um die Kinder und ihre Erziehung.
    Mädchen und Jungen bereiteten sich mit der Aneignung dieser Tätigkeiten auf ihr künftiges Leben als Ehemänner und -frauen vor. Von klein auf zu Gehorsam, Verantwortungsgefühl und Fügsamkeit erzogen, akzeptierten sie zumeist diese Traditionen. Nur in ihrer Weitergabe sahen die Luo das wirtschaftliche und gesellschaftliche Überleben ihres Volkes gewährleistet.
    Dann aber fielen die althergebrachten Strukturen, wie sie seit Jahrhunderten gegeben waren, der Kolonialisierung Kenias zum Opfer. Die Kolonialherren führten die sogenannte Hüttensteuer ein: Von einem Tag auf den anderen mussten die Einheimischen für ihre Hütten Abgaben zahlen, in Form von Geld. Dadurch waren sie gezwungen, auf den Farmen der Weißen zu arbeiten. Denn wer die Steuer nicht entrichtete, machte sich strafbar – schlimmstenfalls drohte Haft –, und da die Männer nur bei den Weißen Geld verdienen konnten, mussten sie ihren Landbesitz verlassen, um sich in den von Weißen besiedelten Gegenden Kenias Lohnarbeit zu suchen.
    Während die Männer nun für die Kolonialherren tätig waren, mussten die zurückgebliebenen Frauen und Mädchen deren Arbeit mit übernehmen. Kehrten die Ehemänner nach Hause zurück, so meist nur für einige wenige Urlaubstage. Dann verfügten sie nicht über die notwendige Zeit, um sich auf sinnvolle Weise an den landwirtschaftlichen Tätigkeiten zu beteiligen. Größere Aufgaben übernahmen sie also nicht, meist ließen sie sich einzig von ihren Frauen und Töchtern bedienen, bis es wieder an der Zeit war, in die Städte oder auf die Farmen der Weißen zurückzukehren.
    Die gesamte Landarbeit fiel auf diese Weise in den Verantwortungsbereich der Frauen. Bei der Heirat wurde daher auch großen Wert darauf gelegt, dass eine Braut in der Lage war, gute Feldarbeit zu leisten und alle auf dem Hof anfallenden Aufgaben zu erledigen. Was aber nichts an ihrer Stellung innerhalb der Familie änderte.
     
    Als achtjähriges Mädchen durchschaute ich diese Entwicklung natürlich nicht. Obwohl die traditionellen Gesellschaften sich unter äußerem Druck gewandelt hatten, was auch die Erziehung zum Erwachsenenleben und die herkömmliche Rollenverteilung bei Jungen und Mädchen in Mitleidenschaft zog, behielten die Luo-Familien ihre Erziehungsprinzipien bei. Ob und wie diese noch zu den veränderten Umständen passten, danach wurde nicht groß gefragt. Und auch von mir erwartete man, dass ich mich den alten Werten widerspruchslos beugte.
    Leider nahm sich aber keiner die Zeit, mir, dem wissbegierigen Mädchen, Zusammenhänge und Hintergründe zu erklären. Meine Großmutter Sarah amüsierte sich nur über meine ständige Fragerei oder schüttelte den Kopf, wenn ich zu beharrlich war. Zum Spaß drohte sie mir manchmal, mich einem alten Nachbarn, der schon über fünfzig war, zur Frau zu geben, falls ich nicht aufhören würde, alles in Frage zu stellen. Dafür würde sie sicher ein paar stattliche Kühe von ihm bekommen, fügte sie jedes Mal lachend hinzu.
    Aber auch diese Sitte wollte mir beim besten Willen nicht in den Kopf: Wie war es möglich, dass ein Mann eine Frau ohne deren Einwilligung, nur mit der Zustimmung der Eltern beziehungsweise des Vaters, einfach »wegheiraten« konnte? Diese Aussicht beunruhigte mich so sehr, dass ich damals einen immer wiederkehrenden Traum hatte, in dem ein sehr alter Mann – noch älter als der Nachbar meiner Großmutter – mich zur Heirat zwang. Im Traum versteckte er sich im Gebüsch und packte mich plötzlich, als ich gerade vom Wasserholen am Fluss zum Hof zurückkehren wollte. Keiner hörte mich um Hilfe schreien, als der Mann versuchte, mich zu sich nach Hause zu schleppen. Irgendwann gelang es mir, mich von ihm loszureißen und wegzulaufen. Doch als ich endlich wieder bei meinen Eltern war, erfuhr ich, dass er meiner Familie schon viele Kühe als Brautpreis gezahlt hatte. Ich war also bereits verheiratet, und man hatte es nicht einmal für nötig gehalten, mich zu fragen oder gar darüber zu informieren. Nächtelang verfolgte mich dieser Alptraum, und jedes Mal lag ich danach stundenlang schlaflos und schwitzend in meinem Bett.
    Im Allgemeinen aber verlief eine Eheschließung bei den Luo längst

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