Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
wieder.«
»Ja«, sagte ich und lächelte schief.
»Wir müssen sowieso nach Saarbrücken fahren, da bringen wir dich gleich zurück.«
»Danke«, erwiderte ich und seufzte verstohlen.
Beruhigt aufatmen konnte ich aber erst, als ich wieder in meinem Zimmer im Wohnheim D war. Es war das erste und letzte Mal, dass ich mir aufs Geratewohl eine deutsche Gastfamilie suchte. Glücklicherweise lernte ich auch so die deutsche Grammatik und bestand ein Jahr später die Immatrikulationsprüfung, die mich befähigte, an der Universität Heidelberg mein Germanistikstudium aufzunehmen.
12
Eines Tages erhielt ich einen Anruf von meinem Vater, da lebte ich bereits einige Monate in Saarbrücken. Er war dienstlich in die damalige Sowjetunion unterwegs und hatte einen Zwischenstopp in Deutschland eingelegt, um mich zu sehen. Seit einigen Jahren hatte er beruflich wieder Fuß gefasst und arbeitete für die Regierung und zwar im Finanzministerium.
Ich erschrak, als ich seine Stimme hörte. Angst stieg auf. Wollte er mich wieder nach Hause schicken oder mir zumindest eine große Szene machen, weil ich Kenia ohne sein Wissen verlassen hatte? Panisch überlegte ich, wie ich ihm mit wenigen Worten verständlich machen konnte, dass ich ihn nicht sehen wollte.
Inzwischen genoss ich das Leben einer unabhängigen Erwachsenen. Während meines Studienjahrs an der Kenyatta University von Nairobi hatte ich bereits ein wenig von dieser Freiheit gekostet. Aber hier bedeutete sie, dass ich mein Leben ganz allein, ohne Einmischung meiner Eltern, bestimmen konnte. Ich war mittlerweile zwanzig, war durch mein Stipendium finan-
ziell abgesichert, hatte eine Bleibe und brauchte meinen Vater um nichts mehr zu bitten. Daran sollte sich auch in Zukunft nichts ändern, schon gar nicht durch eine Begegnung mit ihm.
Aber schließlich, nach einigen Überredungsversuchen von Freunden, gab ich mich geschlagen und sagte meinem Vater, dass ich ihn doch gern treffen würde. Er kam nach Saarbrücken. Ich erinnere mich noch, wie sein Taxi vor unserem Wohnheim hielt. Ich saß in meinem Zimmer und schaute in ängstlicher Erwartung aus dem Fenster. Gemeinsam mit Elke – noch war sie nicht in den Staaten, und ich hatte sie gebeten, während seines Aufenthalts nicht von meiner Seite zu weichen – nahmen wir kurz darauf Platz in meinem kleinen Studentenzimmer. Ich brachte kaum ein Wort heraus.
Im Grunde war es Elke, die das Gespräch in Gang hielt. Doch irgendwann wurde es ihr offenbar zu dumm. Sie entschuldigte sich mit einer Ausrede und verließ das Zimmer. Am liebsten wäre ich ebenfalls aufgestanden und gegangen. Aber meinen Vater so zu brüskieren, hätte ich niemals gewagt. Angespannt blieb ich sitzen, darauf gefasst, dass er jetzt, wo wir alleine waren, seinem ganzen Ärger Luft machen würde.
Aber ich hatte mich getäuscht. Ich war so mit mir selbst beschäftigt gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie ungewöhnlich still er die ganze Zeit über war. Nur zögernd gestand ich mir ein, dass er traurig aussah. Er wirkte wie besiegt.
Als ich ihn so betrachtete, wurde mir plötzlich klar, dass ich nichts mehr von ihm zu befürchten hatte. Der Mann, der da vor mir saß und vor dem ich all die Jahre Angst gehabt hatte, schien gebrochen. Während ich langsam einsah, dass er mir nichts mehr anhaben konnte, muss er seinerseits begriffen haben, dass er mich verloren hatte.
Ich erinnere mich noch, wie leise und traurig seine Stimme klang, als er mich fragte, warum ich mich einfach ohne ein Wort des Abschieds aus Kenia fortgeschlichen hätte. Wie immer in unseren Auseinandersetzungen ging ich in die Offensive. Trotzig erklärte ich, ich hätte Angst gehabt, er würde mich in Kenia zurückhalten. Und dann sagte ich ihm, wie es mir damals zu Hause ergangen war. Mein Vater hörte nur zu, und ich sah, dass meine Worte, meine Kritik ihn schmerzten. Was ich getan hatte, war keine Kleinigkeit gewesen. Ich hatte das Land verlassen und ihm nichts davon gesagt. Ich hatte damit auch ihn verlassen. Vielleicht war ihm zu diesem Zeitpunkt gar nicht klar, dass schon vor Jahren eine riesige Kluft zwischen uns entstanden war. Vielleicht hatte er sogar noch bis vor kurzem gedacht, ich sei immer noch sein liebes kleines Mädchen, während ich mich mehr und mehr von ihm entfernt hatte.
Plötzlich packte auch mich eine tiefe Traurigkeit. Ich konnte meinem Vater einfach nicht verzeihen. Es war so vieles schief- gelaufen in unserem Zusammenleben, und nach
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