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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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er eine Portion, wickelte sie in weißes Papier und formte daraus eine Art überdimensionale Zigarette. Er zündete sie an und nahm einen Zug. Ich staunte. Noch mehr aber staunte ich, als er die Riesenzigarette seinem Bruder reichte. Der nahm einen Zug und gab sie schließlich an seine Frau weiter. Meine Augen wurden immer größer. Was machten sie da? Und schon hielt auch sie mir das Ding hin. Entsetzt schaute ich sie an.
    »Nimm doch einen Zug«, sagte die Mutter.
    »Nein danke«, erwiderte ich und vermochte nur mit Mühe meinen Widerwillen zu verbergen. »Danke, ich rauche nicht.«
    »Hast du noch nie einen Joint probiert?«, fragte der Bruder. »Ich dachte, dass in Afrika alle Leute kiffen. Versuch mal.«
    »Nein!«, entgegnete ich vehement. Ich fühlte mich plötzlich miserabel.
    »Ach, komm schon. Das ist doch keine Zigarette. Es ist ein Joint.« Er sah mein verständnisloses Gesicht und fügte hinzu: »Marihuana.«
    Marihuana! Davon hatte ich schon gehört, bangi nannte man es bei uns in Kenia. Jetzt bekam ich es mit der Angst. Bangi war doch eine Droge! Ich war in einem Haus gelandet, in der die Familie bangi rauchte, und ich wusste nicht mal, wo ich war! Ich hatte keine Ahnung, wo das Telefon stand und ob sie überhaupt eines hatten. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich einen riesigen Fehler gemacht hatte. Wieso war ich bloß mit diesen Leuten mitgegangen, ohne die leiseste Ahnung zu haben, wer sie waren? Jetzt saß ich hier fest. Wörter wie »Heroin« und » LSD « spukten mir im Kopf herum. Immer hatte man uns vor Rauschgiften gewarnt, und ich war hier ausgerechnet bei Drogenabhängigen gelandet. Meine Fantasie lief Amok, ich sah mich schon halb betäubt im Straßengraben liegen.
    Ich weiß nicht, ob die Familie irgendetwas von meinem inneren Aufruhr bemerkte. Jedenfalls tat ich nach außen hin so, als sei alles in Ordnung. Bloß keine Angst zeigen, dachte ich. Denn obwohl ich mir die ganze Zeit einredete, es werde schon alles gut gehen, befürchtete ich genau das Gegenteil.
    Abgesehen von der großen bangi , die weiter die Runde machte, verlief der Abend eigentlich sehr locker und angenehm. Obwohl ich am Gespräch teilnahm, wich meine Furcht nicht, und ich überlegte die ganze Zeit, wie ich meinen Besuch abbrechen könnte. Ich wollte nur eines: zurück nach Saarbrücken in mein sicheres Zimmer im Studentenwohnheim.
    Am nächsten Morgen stand ich früh auf. Das Haus war still, die Familie schlief noch. Ich packte meine Sachen zusammen, machte das Bett und ging ins Wohnzimmer. Dort setzte ich mich aufs Sofa und wartete ungeduldig auf erste Lebenszeichen.
    Irgendwann tauchten die Kinder in T-Shirt und Unterhose im Wohnzimmer auf und begannen, mit ihren verstreuten Spielsachen zu spielen. Wenig später betrat der Vater das Zimmer. Auch er trug ein T-Shirt, aber das war alles. Ich erstarrte. Noch nie hatte ich einen nackten Mann gesehen, geschweige denn einen fremden nackten Mann, und obendrein noch in einem Wohnzimmer, in dem kleine Kinder spielten.
    Ihnen schien nichts Ungewöhnliches aufzufallen. Bei uns zu Hause wäre ein solcher Auftritt vollkommen undenkbar gewesen. Für kenianische Kinder war der Anblick des nackten Vaters ein großes Tabu. Ich erlebte gerade den absoluten Kulturschock! (Erst später erfuhr ich, dass ich in typisch »alternativen« Kreisen der frühen Achtziger gelandet war.) Und die Anstrengung, die ich aufbringen musste, um nicht mit offenem Mund dazusitzen, machte sich schmerzlich in meinen Wangenmuskeln bemerkbar.
    Wäre es nach mir gegangen, wäre ich augenblicklich und mit leerem Magen aufgebrochen. Inzwischen hatten sich die Horrorvisionen in meinem Kopf auch ausgeweitet: Verrückte, Kriminelle, Drogenhändler, die mich bedrohen, dachte ich beklommen und fürchtete, meine Angst könne die Familie alarmieren, die dann alles Mögliche mit mir anstellen würde. Folglich durfte ich erst nach dem Frühstück verschwinden, um nicht aufzufallen.
    Alle halfen beim Tischdecken. Der Vater hatte sich inzwischen eine Hose angezogen, und die Mutter war, Gott sei Dank, angekleidet in der Küche erschienen.
    Beim Frühstück verkündete ich, dass ich unbedingt nach Saarbrücken zurückmüsse, da ich vergessen hätte, etwas Dringendes zu erledigen. Ich weiß nicht, ob meine Gastgeber mir diese Lüge glaubten, aber zu meiner Erleichterung wirkten sie nicht sonderlich irritiert. Überhaupt gingen sie mit allem sehr unkompliziert um.
    »Kein Problem«, sagten sie. »Du kommst ja

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