Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
anhaltenden Liebeskummer.
Es fing an wie üblich. Ein Mann bemühte sich um mich, und ich merkte es nicht – im Gegensatz zu meinen neuen Freundinnen, die mir die Augen öffneten. Ich nahm sie nicht weiter ernst. Diesmal aber hatte es den Mann anscheinend richtig erwischt, denn er ließ nicht locker.
Dieter war neun Jahre älter als ich und saß gerade an seiner Doktorarbeit. Er wohnte in meinem Studentenwohnheim, hielt sich aber im Allgemeinen wenig im »Comeniushaus« auf. Jetzt aber schien er kaum den Ort verlassen zu wollen.
Gogo, meine togolesische Freundin, die nie ungeschminkt ihr Studentenzimmer verließ, hatte schließlich Mitleid mit ihm und lud ihn öfter ein, wenn wir uns in ihrem Zimmer zum Essen versammelten.
»Er leidet richtig«, sagte sie eines Tages mit fast flehender Stimme, als wir allein waren.
»Wer?«, fragte ich verwirrt.
»Dieter! Ich sage dir doch schon die ganze Zeit, dass er in dich verliebt ist.«
Gogo war eine sehr romantische Person. Seitdem wir uns kannten, versuchte sie mich mit Männern zu verkuppeln. Sie verstand einfach nicht, warum ich mit fast zweiundzwanzig Jahren noch keinen Freund hatte. Sie war nur ein paar Jahre älter als ich und schon seit längerer Zeit in festen Händen. Aus einer früheren Verbindung hatte sie eine kleine Tochter, die sie bei der Mutter in Togo zurückgelassen hatte, um studieren zu können.
»Das kann nicht sein«, entgegnete ich verlegen.
Gogo hatte im Gegensatz zu mir eine laute, direkte Art, nicht meine, wie sie es nannte, »gezierten englischen Manieren«. Sie redete nie lange um den heißen Brei herum, sondern nannte die Dinge sofort beim Namen.
»Du bist wirklich blind, Auma«, sagte sie lachend. »Er kann nicht eine Minute die Augen von dir abwenden, und du merkst nichts! Ist dir nicht aufgefallen, dass er nicht mehr übers Wochenende nach Hause fährt? Früher war er an diesen Tagen nie im Heim.«
Ich sagte nichts. Abgesehen von meiner Scheu Männern gegenüber war ich auch sehr misstrauisch. Die Vorstellung, einem Mann zu gehören – eine Liebesbeziehung setzte ich damals mit einem Besitzverhältnis gleich –, stieß mich ab. Einen Freund zu haben, bedeutete in meinen Augen den Verlust der hart erkämpften Unabhängigkeit, die mich bis nach Deutschland gebracht hatte. Darauf wollte ich es nicht ankommen lassen. Wenn Gogo mir von Dieter erzählte, dachte ich nur daran, dass er mich in meinem Freiheitsdrang bremsen würde.
Bei meinen vernünftigen Überlegungen hatte ich allerdings die Liebe völlig ausgeklammert.
Eines Abends fiel mir in seiner Anwesenheit endlich ein Schleier von den Augen und ich bemerkte, wie umwerfend gut er aussah. Er war groß und schlank und hatte pechschwarze Locken, die ihm lässig in die Stirn fielen. Eher zurückhaltend, redete er nicht viel. Ich verliebte mich heiß und innig in ihn, und das Wunder geschah: Wir wurden ein Paar.
Plötzlich stiegen lauter unbekannte Gefühle in mir auf. Für Dieter empfand ich etwas, was überhaupt nichts zu tun hatte mit den Vorstellungen, die ich bis dahin mit einer Beziehung zum anderen Geschlecht verbunden hatte. Mit der Verliebtheit stellte sich nämlich das fatale Bedürfnis ein, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um diesen Mann glücklich zu machen. Er brauchte mich nur darum zu bitten. Heute weiß ich, dass meine Vorbehalte in Sachen Liebesbeziehung durchaus berechtigt waren, auch wenn ich mir dessen damals nicht bewusst war. Denn beim Gedanken an Dieter waren mir auf einmal Unabhängigkeit und Freiheit vollkommen egal. Ich wollte nur noch, dass er mich genauso liebte wie ich ihn. Alles andere war unwichtig.
Doch Dieters Liebe zu mir hielt nicht lange an. Vermutlich hatte er sich mehr in eine exotisch-romantische Idee von mir verliebt als in meine Person. Ich war viel jünger als er, hatte keinerlei Erfahrung mit Beziehungen und stellte mich vermutlich oft ein wenig unbeholfen an.
Durch Gogo erfuhr ich, dass er vorher mit einer Frau zusammen war, die ein zwölfjähriges Kind hatte. An den Wochenenden war er immer zu der Freundin in die gemeinsame Wohnung gefahren, sie hatte ihn bekocht und seine Wäsche gewaschen. Dann verknallte er sich in mich und trennte sich von ihr. Jetzt blieb er an den Wochenenden im Wohnheim, um mit mir zusammen zu sein – und musste alle Haushaltsdinge allein erledigen.
Als ich mich mit Haut und Haaren in ihn verliebt hatte, erkannte er wohl, dass die Fremde, zu der es ihn einst so sehr hingezogen hatte, ihm nun zu fremd war.
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