Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
hier. Soll ich dich wegschicken?«
Ich fand diesen Vergleich unfair, da wir uns schon vor Monaten angemeldet und die Zeit unseres Aufenthalts festgelegt hatten. Außerdem beteiligten wir uns an den Haushaltskosten und den anfallenden Arbeiten. Aber ich sagte nichts. Für die Schwester meiner Mutter war es stets eine Selbstverständlichkeit, alles, was sie hatte, mit den Verwandten zu teilen. Was wir ihr gaben, kam daher allen zugute. Es erinnerte mich an die Diskussion, die ich damals in Chicago mit Barack über meinen Vater geführt hatte.
Was ihr Verhalten teilweise erklären mag, ist die Tatsache, dass meine Tante keine eigenen Kinder hatte. Für sie waren wir alle ihre Kinder, und vermutlich fürchtete sie sich auch vor dem Alleinsein, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte. Obendrein hielt sich Tante Jane streng an die Luo-Bräuche und war dabei äußerst abergläubisch, besonders was ihre Einstellung zum Tod betraf. Sie hatte schon immer entsetzliche Angst davor gehabt, allein zu sterben. Sie gab mir einmal zu verstehen, dass sie niemanden verjage, weil sonst keiner zu ihrer Beerdigung kommen würde. Ich dachte zuerst, sie mache Spaß, aber sie meinte es im wahrsten Sinne des Wortes todernst.
So wohnten wir also mit wechselnder Verwandtschaft bei Tante Jane. Karl nahm sein Praktikum auf und fuhr jeden Tag mit einem UNEP -Bus quer durch die Stadt zu seiner Arbeitsstelle. Nach einigen Wochen ging auch für mich endlich der Job an der Nairobi University los, und wir konnten, da ich nun eine Angestellte der Universität war, in eine eigene Wohnung umziehen. Sie lag in Kileleshwa, einem der schöneren Stadtteile Nairobis. Hinter unserem Wohnblock erstreckte sich ein üppig bepflanzter, einladender Garten, an dessen Ende ein Bach entlangfloss. Die großen Bäume, die in dem kleinen Park standen, lockten allabendlich mehrere Äffchen an, die in ihren Zweigen herumturnten. Vergaß man einmal etwas Essbares auf dem Balkon, konnte man sicher sein, dass die Tiere es sich holen würden.
Karl lebte sich trotz seine Vorbehalte gegenüber der kenianischen Verwaltung sehr schnell in seiner neuen Umgebung ein. Da ich das importierte Auto schon früh verkauft hatte, schafften wir uns nach einigen Monaten einen alten blauen VW Käfer an. Nun waren wir auch wieder mobil.
An der Universität erteilte ich einer Gruppe sehr angenehmer kenianischer Studenten Deutschunterricht, aber da sie vor lauter Scheu kaum einen Satz herausbrachten, musste ich sie ständig zur Teilnahme ermutigen. Das strengte mich mehr an als das Unterrichten selbst.
Oft dachte ich in dieser Zeit an meine Deutschlehrerin Mrs. Kanaiya an der Kenya High School zurück, in deren Stunden wir stets ausgiebig diskutiert hatten. Meinen Studenten dagegen fehlte der Mut, sich am Unterricht zu beteiligen. Ihre mangelnden Sprachkenntnisse ließ ich jedoch als Grund für ihre Passivität nicht gelten. Wie sollten sie anders Deutsch lernen als durch Sprechen? Notfalls durften sie Sätze auch auf Englisch vervollständigen, Hauptsache, sie nahmen aktiv am Unterricht teil. Da dies aber kaum geschah, langweilte mich die Tätigkeit ziemlich bald.
Neben der Arbeit an der Universität gab ich Deutschunterricht am Goethe-Institut in Nairobi und erteilte einem Studenten Privatstunden, sodass ich auf diese Weise mein Einkommen aufbessern konnte. Mit dem Extrageld konnten Karl und ich Reisen durchs Land unternehmen, denn mein Freund erhielt beim UNEP kein Gehalt, sondern musste von seinen Ersparnissen leben.
Eines Tages fuhren wir kurz entschlossen mit dem alten Käfer zum Turkanasee im Norden des Landes. Da ich es mir nicht zutraute, allein mit Karl bis zum siebenhundert Kilometer entfernten See zu fahren, fragte ich Patrick, den jüngeren Bruder meiner Freundin Trixi, die jetzt in München studierte, ob er mitkommen wolle. Er sagte sofort zu, und ohne größere Vorbereitungen machten wir uns auf den Weg. Wir nahmen zusätzliches Benzin mit, ein sehr einfaches Dreimannzelt und einige Bohnen- und Fleischkonserven. Alles andere wollten wir unterwegs kaufen.
Nachdem wir fast den ganzen Tag gefahren waren, erreichten wir am späten Nachmittag mit etwas steifen Knochen vom langen Sitzen im engen Käfer den See. Dort folgten wir einem Schild, auf dem »Turkana Lodge« stand. Obwohl wir nur sehr wenig Geld dabeihatten, dachten wir, dass wir dort vielleicht übernachten könnten. Nach der Strecke erschien uns ein Bett angenehmer als der harte Boden im Zelt.
Die Lodge am Ufer des
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