Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Freund, dass ich meinen Eltern mein Leben lang – immerhin war ich damals schon fünfundzwanzig Jahre alt – nie wirklich widersprochen hatte.
Trotz der leidigen Familiengeschichte verbrachten wir wunderbare Zeiten zusammen. Einer der Höhepunkte war dabei unsere zehntägige Reise nach Italien im Sommer 1985 .
Wir wollten mit dem Auto in die Toskana fahren und dort auf Campingplätzen übernachten, worunter ich mir nicht so recht etwas vorstellen konnte. Bisher war ich nur in der Schulzeit campen gewesen und zwar immer in der Wildnis und ohne jeglichen Komfort.
Wir hatten unsere Route so geplant, dass sie uns zum Gardasee und anschließend durch die Toskana führen würde. Assisi wollten wir besuchen, und natürlich standen Florenz und Pisa auf dem Programm.
Abends erreichten wir unseren ersten Campingplatz, und ich war gespannt auf diese neue Erfahrung. Wir meldeten uns an, bezahlten und konnten uns einen Platz aussuchen, um unser Zelt aufzuschlagen. Karl lernte mich in dieser Nacht als eine Städterin kennen, die Angst vor der Dunkelheit hat. Auf der Weiterfahrt mussten wir sogar einige Male im Auto übernachten, weil mir im Zelt einfach zu mulmig zumute war. In der Toskana hatte ich in der Tat mehr Angst vor Menschen, die mich überfallen oder verschleppen könnten, als in der kenianischen Wildnis vor gefährlichen Tieren.
In Florenz besichtigten wir den Dom Santa Maria del Fiore mit seiner schönen Kuppel, besuchten die Uffizien, schlenderten durch die engen Gassen der Stadt. Überall wimmelte es von Touristen, und dazwischen stießen wir immer wieder auf senegalesische und ghanaische Straßenverkäufer. Es gefiel uns dort so gut, dass wir unseren geplanten Aufenthalt verlängerten.
Florenz hatten wir zur südlichen Grenzmarke unserer Reise erklärt. Meine Enttäuschung war groß, als wir auf dem Weg nach Norden in Pisa ankamen. Der berühmte schiefe Turm war viel kleiner, als ich ihn mir vorgestellt hatte.
Schließlich erreichten wir Mailand, die letzte italienische Stadt, die wir besichtigen wollten. Erste Anlaufstelle war der Dom, der Duomo di Santa Maria Nascente. Kaum hatten wir ehrfürchtig auf Zehenspitzen das prächtige Gotteshaus betreten, sahen wir einen Mönch langsam auf uns zukommen. Wir lächelten höflich, und er sprach uns leise an.
»Minirock ist hier nicht erlaubt«, flüsterte er.
»Minirock?«, fragten wir überrascht.
Er nickte in meine Richtung und sagte zu Karl:
»Die Dame. Sie darf ihre Beine nicht so zeigen.«
Ich wollte meinen Ohren nicht trauen. Der Jeansrock, den ich trug, reichte mir bis knapp über die Knie. Für mich war er alles andere als ein Minirock. Karl, der Katholik und ehemalige Messdiener, schien sofort zu verstehen. Er entschuldigte sich vielmals, nahm mich kurz entschlossen an die Hand und dirigierte mich Richtung Kirchenpforte. Er kannte mich nur allzu gut und wusste, dass ich nicht ohne eine gute Erklärung nachgeben würde. Im Geiste hörte er mich sicher bereits protestieren: »Wieso denn? Das ist doch Heuchelei! Was zählt, ist, was im Herzen der Leute vorgeht, nicht wie lang ihr Rock ist.« Doch bevor ich meinen Mund aufmachen konnte, waren wir schon wieder draußen.
»Es hätte sich nicht gelohnt, sich mit denen über deinen Rock zu streiten. Sie hätten uns trotzdem rausgeschmissen«, sagte Karl. »So viel war auch nicht zu sehen.«
Vor uns lag der weite Kirchenvorplatz, gesäumt von den teuren Boutiquen, für die die Modestadt Mailand so berühmt ist. In den Auslagen führten Schaufensterpuppen die neuste Mode vor, darunter Kleider, die kaum die intimsten Körperteile bedeckten.
»So eine Heuchelei!«, sagte ich mit gepresster Stimme. Mailand war mir verleidet. Wir blieben nicht länger in der Stadt und machten uns wieder auf den Rückweg nach Heidelberg. Dort stellten sich für mich neue Probleme.
Mit der Entdeckung meiner »afrikanischen Identität« in Deutschland, ging auch die Beschäftigung mit den Deutschen und ihrem Blick auf uns Afrikaner einher. Es schockierte und enttäuschte mich, dass die meisten, die ich kennenlernte, so wenig über Afrika wussten. Sie redeten davon, als handele es sich dabei nicht um einen Kontinent mit immerhin dreiundfünfzig Staaten, sondern um ein einziges großes Land. Immer wieder musste ich meine Gesprächspartner korrigieren: »Afrika ist kein Land, Afrika ist ein Kontinent!« Oft bekam ich dann bloß zur Antwort: »Ja, ja, aber wie gesagt …« Und der Betreffende sprach weiter, als sei meine
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