Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
verankern lassen.«
Ich schaute meinen Bruder an. Er sprach so eindringlich, so ernst, mit fester, überzeugter Stimme. Nicht einen Augenblick zweifelte ich daran, dass er das umsetzen würde, was er sagte.
Unsere Unterhaltung führte uns zur Weltpolitik, wir beschäftigten uns mit Afrika und den Beziehungen des Kontinents zum Rest der Welt und redeten bis tief in die Nacht. Barack lauschte interessiert, als ich von meiner »Entwicklungsarbeit« in Deutschland erzählte und davon, dass ich schließlich aus Frustration damit aufgehört hatte.
»Das hättest du nicht tun sollen, Auma«, sagte er. »Du hast bestimmt gute Arbeit geleistet.«
Ich lächelte betrübt.
»Ich war ihr wohl nicht gewachsen. Ich habe mich immer zu sehr aufgeregt.«
»Das darf man nicht. Du musst stets deine Vision im Auge behalten. Die Leute brauchen manchmal etwas länger, bis sie begreifen, aber irgendwann verstehen sie es. Daran glaube ich fest.«
»Vielleicht bist du deswegen so optimistisch, weil du aus einem Land kommst, in dem es möglich ist zu träumen. Bei uns kann man so lange träumen, wie man will, am Ende bleibt es bei den Hoffnungen. Denk doch nur an unseren alten Herrn«, sagte ich.
»Er hat einfach nicht versucht, ein Entscheidungsträger zu werden, jemand, der bestimmt, was wirklich passiert.«
»O doch, das hat er«, ereiferte ich mich. »Nur wollte ihm keiner zuhören. Er war der führende Ökonom im Finanzministerium und hat die Regierung in allen wirtschaftlichen Angelegenheiten beraten. War das nicht genug?«
»Nein, weil seine Vorschläge nirgends gesetzlich fixiert wurden.«
»Heißt das etwa, dass nur Juristen die Welt verändern können?«
»Natürlich nicht!« Barack lachte laut auf. »Dazu gehört viel mehr als juristische Kenntnisse. Aber Gesetze können zum Vorteil von Menschen geändert werden. Man muss sich beruflich so orten, dass man die Geschehnisse beeinflussen kann. Das wusste unser Vater anscheinend nicht zu tun.«
Die Argumentation meines Bruders überzeugte mich nicht ganz. Ich war eher der Auffassung, dass die Möglichkeit, ernsthafte und sinnvolle gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, sehr davon abhing, was für ein Typ Mensch man war. Es gab Menschen, die andere mitreißen konnten. Sie konnten mit ihren Visionen überzeugen – mein Vater gehörte nicht zu ihnen. Er war zu sehr Einzelgänger, zu sehr ein Ideenmensch. Er war zwar vorausschauend, aber nicht unbedingt die geeignete Person, um seine Visionen umzusetzen.
Zu Barack sagte ich: »Das, was du in den USA versuchst, wäre hier in Kenia viel schwieriger. Aber so wie ich dich kenne, schaffst du es garantiert.«
Schon kurz nach seiner Ankunft beschlossen wir, zu unserer Großmutter Sarah zu fahren. Wir entschieden uns, mit der Bahn zu reisen, denn damals konnte man sich noch auf sie verlassen, und bequem war es auch. Am frühen Abend rollte der Zug langsam aus dem Bahnhof und entfernte sich mit zunehmender Geschwindigkeit vom Zentrum Nairobis. Es ging dem Rift Valley entgegen, das durch den Film Out of Africa weltberühmt geworden ist. Leider sahen wir vom Großen Ostafrikanischen Graben nichts, denn als wir dort ankamen, war es bereits dunkel. Während das Bahnpersonal unsere Schlafplätze richtete, begaben wir uns zum Abendessen in den Speisewagen. Der alte Waggon mit seinem kolonialen Flair mutete an wie ein Museumsstück. Der Kellner zeigte uns stolz das königliche Wappen des britischen Empire auf den Messern und Gabeln und den riesigen Suppenlöffeln, die auf den kleinen Speisetischen lagen.
»Immer noch loben wir hier die Engländer und sind stolz auf unser koloniales Erbe. Die Menschen denken nicht darüber nach, wie viel damals in diesem Land zerstört worden ist.« Diesen Kommentar musste ich loswerden.
Barack zuckte mit den Achseln und sagte lächelnd: »Unwissenheit ist ein Segen.«
Am nächsten Morgen näherten wir uns bei Sonnenaufgang Kisumu, unserer ersten Etappe. Überall sah man grüne Felder, auf denen die verschiedensten Getreidesorten wuchsen. Der Anblick vermittelte einen Eindruck von Wohlstand und Überfluss.
Es war, als hätte Barack meine Gedanken gelesen, denn staunend sagte er: »Die Landschaft widerspricht völlig dem Bild von den verhungernden Afrikanern, das wir im Westen haben.«
»Unsere Realität widerspricht in vielem den westlichen Vorstellungen«, erwiderte ich. »Aber nicht nur wir sehen das, auch andere, doch sie registrieren es nicht. Ich meine damit auch unsere eigenen
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