Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Verwandtschaft, kaum redete. Sein Schweigen frustrierte mich, und ich begann mich zu fragen, ob er wirklich der richtige Partner für mich war. Ich wünschte mir, mit jemandem zusammen zu sein, der am Gespräch, am allgemeinen Geschehen teilnahm. Ian aber schien es zu genügen, einfach dabei zu sein und mich machen zu lassen. Mir wurde dabei klar, dass die Stabilität, die er mir gab, auf seine Bodenständigkeit und Fürsorglichkeit zurückzuführen war und nicht auf seine Geselligkeit.
Als wir aus dem Frankreich-Urlaub nach England zurückkehrten, wo ich vorhatte, den Rest meiner Sommerferien zu verbringen, war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich mit Ian zusammenbleiben wollte. Es ließ sich einfach nicht leugnen, dass ich bei ihm nicht die Lebendigkeit fand, die mir wiederum bei Karl so gefallen hatte. Irgendwann schaffte ich es schließlich, ihm das zu sagen. Wie unser Gespräch im Einzelnen ablief, weiß ich nicht mehr, ich weiß nur noch, dass ich nach Deutschland zurückkehrte und mich damit abfand, ihn nie wiederzusehen.
Als Barack und Michelle 1992 in Chicago heirateten, war ich jedoch noch mit Ian zusammen. Ich freute mich sehr auf diese Hochzeit, nicht zuletzt aus dem Grund, dass ich zu einer der Brautjungfern erkoren worden war. Michelle schickte mir ein elegantes, schwarzes Kleid, gerade rechtzeitig, sodass ich noch ein paar Pfund abnehmen konnte. Ich staunte, dass bei einer amerikanischen Hochzeit Schwarz getragen wurde.
In Chicago lernte ich Michelles Familie kennen und wurde von ihr herzlich aufgenommen. Sie hatte viele Verwandte, doch zum engsten Familienkreis gehörten nur ihr Bruder Craig und ihre Mutter. Ihr Vater war schon vor zwei Jahren gestorben. Von unserer Seite waren Baracks Mutter Ann und seine Schwester Maya erschienen, sowie Baracks und Mayas Großmutter, von den Enkeln liebevoll »Toot« genannt. Abongo nahm ebenfalls an der Zeremonie teil, Ian hatte leider nicht mit mir kommen können, er musste arbeiten. Baracks alte Schulfreunde aus Hawaii waren angereist, und es machte mir großen Spaß, sie über meinen Bruder auszufragen und zu hören, was er als Kind so alles angestellt hatte.
Das feierliche Ereignis fand im Spätsommer bei herrlichstem Wetter statt. Die Sonne stand hoch an einem wolkenlosen Himmel und bot die perfekte Kulisse für eine Hochzeit wie aus dem Märchenbuch. Und das war sie wirklich. Ich erinnere mich noch, wie sehr es mich beeindruckte, dass wir in einer Limousine herumgefahren wurden. Michelle sah traumhaft aus in ihrem langen, weißen Kleid. Und der Anblick von Barack im klassisch geschnittenen Smoking, der seine schlanke Figur und sein gutes Aussehen unterstrich, erfüllte mich mit Stolz. Wenn nur unser Vater diesen Tag hätte miterleben können, ging es mir mehrmals flüchtig durch den Kopf, wie eine dunkle Wolke, die ich aber rasch verscheuchte.
Wir Brautjungfern und Trauzeugen konnten uns aber auch sehen lassen, als wir das Paar in die Kirche begleiteten und anschließend in der Nähe des Altars standen. Eine rauschende Party beendete den großen Tag.
Nach dem Fest blieb ich noch ein paar Tage bei meinem Bruder und seiner Frau. Ihre Hochzeitsreise sollte erst einige Tage nach der Trauung starten. Damals lebten die beiden im Elternhaus von Michelle, in einer eigenen kleinen Wohnung, wo sie auch mich untergebracht hatten. Ich war froh, wieder ein paar Tage nur mit Barack, den ich so selten sah, und Michelle zu verbringen, ohne Verwandte und Freunde.
Meist hielt ich mich in Berlin auf, als ich aus Amerika zurückkehrte. Meine Pflichtseminare hatte ich in Bayreuth absolviert, vor den Abschlussprüfungen musste ich nur noch meine Doktorarbeit zu Ende schreiben. In der Hauptstadt beschäftigte ich mich viel intensiver als zuvor mit dem Fall der Mauer – mehr und mehr begriff ich die ganze Tragweite dieses Ereignisses, auch in seinen negativen Auswirkungen, etwa den rassistischen Übergriffen in Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen.
Eines Tages traf ein Brief von Ben ein, einem der jüngeren Söhne meiner Mutter. Er schrieb, dass er sich in Nairobi nur mit großer Mühe ernähren könne, dass er nirgends Arbeit fände und sich nicht mehr zu helfen wisse. Er klang richtig verzweifelt. Ben fragte mich, ob er nicht zu mir nach Deutschland kommen könne. Nach reiflicher Überlegung – ich war mir nicht sicher, ob Deutschland, dazu noch im Winter, wirklich das Richtige für ihn war – sagte ich zu und schickte ihm ein Flugticket.
Der
Weitere Kostenlose Bücher