Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
Aufenthalt wurde ihm durch die winterliche Kälte tatsächlich stark verleidet. Zudem fürchtete ich die rassistischen Attacken, von denen die Medien häufig berichteten. Er verließ so gut wie nie mein Zuhause – ich lebte damals in einer kleinen Wohnung in der Nähe der Spree – und fühlte sich sehr einsam, weil ich ihn oft alleine lassen musste, um an die DFFB oder in die Bibliothek zu gehen.
Beim Abschied hoffte ich, dass er wenigstens etwas besser gestimmt zurückflog und nun das warme Kenia wieder mehr zu schätzen wusste. Für mich war sein Besuch auch der Versuch gewesen, sozusagen als moderne Auserwählte meine Pflicht zu tun und meinem kleinen Bruder zu helfen. Es blieb aber das Gefühl, dass ich nicht viel für ihn hatte tun können.
Meine Mutter besuchte mich ein Jahr später in Berlin, ebenfalls im Winter. Aber diesmal war ich es, die sich deprimiert fühlte. Ich hatte eine sehr schwierige Phase hinter mir. Obwohl ich inzwischen einige Freunde in Berlin hatte und mich einer Gruppe schwarzer Frauen angeschlossen hatte, die sich regelmäßig trafen, quälte mich ein tiefes Gefühl der Verlassenheit, über das ich mit den neuen Freunden nicht sprechen konnte. Diese Schwierigkeit, mich über persönliche Probleme auszutauschen, versetzte mich zurück in die Zeit an der Kenya High School, in der ich sie ebenfalls meistens für mich behalten hatte. Wie damals war ich auch jetzt nach außen hin freundlich, lebendig und sehr unterhaltsam. Wie damals sah man mir auch jetzt vermutlich nicht an, wie viel Verlorenheit und Traurigkeit ich mit mir herumtrug.
Immer stärker versank ich in einer düsteren Verfassung, und oft nahm ich nur noch mechanisch am äußeren Geschehen teil. Als ich zu fürchten begann, dass ich wegen einer Depression im Krankenhaus landen könnte, bat ich meine Mutter, mich in Berlin zu besuchen und eine Zeit lang bei mir zu bleiben.
Es war ein kalter und schneereicher Winter, weshalb wir nicht viel unternahmen und oft zu Hause saßen. Meistens arbeitete ich an meiner Doktorarbeit, während meine Mutter sich mit häuslichen Tätigkeiten beschäftigte. Ich war froh, sie um mich zu haben. Doch das Gefühl der Unzufriedenheit mit meiner gesamten Situation konnte ihre Gegenwart mir letztlich nicht nehmen.
Wie einst in Heidelberg machte sich meine Mutter auch diesmal Sorgen darüber, dass ich keinen Freund hatte – von Ian war ich ja getrennt. Ich erklärte ihr, ich wolle gar keinen Freund. Sie begann daraufhin, sich über Karl aufzuregen, meinte, er hätte mir meine Zeit gestohlen und mich sechs Jahre lang getäuscht. Doch das ließ ich nicht gelten.
» Wir haben uns getrennt«, sagte ich mit Nachdruck. »Es gehören immer zwei dazu.«
Das Argument überzeugte sie nicht.
»Ich hatte ihn schon damals gefragt, als er mit dir in Kenia war, was er für Pläne mit dir hat«, sagte sie. »Aber er konnte mir darauf keine Antwort geben. Jetzt weiß ich, warum. Er hatte überhaupt keine.«
Ich ließ sie reden. Es hatte keinen Sinn, mit ihr zu streiten. Es belastete mich ja alles selbst. Tief in meinem Innersten wusste ich, dass ich mich noch nicht von der Trennung erholt hatte. Wir waren so lange zusammen gewesen, hatten so viel miteinander unternommen, hatten uns alles Mögliche für die Zukunft ausgemalt, nur um am Ende festzustellen, dass er mich nicht genauso liebte wie ich ihn. Denn geliebt hat er mich damals bestimmt, nur eben nicht genug, um mich nach sechsjährigem Zusammensein zu heiraten. Diese Erfahrung hatte mir den Wind aus den Segeln genommen und mich als ziellos umhertreibendes Boot auf einem Meer zurückgelassen, das Deutschland hieß. Meine kurze Beziehung mit Ian war für mich der Versuch gewesen, einen Anker in einem festeren Boden zu werfen. Aber es hatte nicht funktioniert.
Schließlich erzählte ich meiner Mutter von Ian und unserer kurzen Beziehung. Eigentlich wollte ich das gar nicht, da ich die Episode mit ihm nicht für erwähnenswert hielt.
»Warum hast du ihn verlassen?«, fragte sie mich, als ich geendet hatte.
Meine Antwort verwirrte sie.
»Langeweile?«, wiederholte sie. »Das ist doch kein Grund, zumal er anscheinend gut zu dir war.«
Was sollte ich darauf sagen? Meine Mutter und ich lebten in zwei verschiedenen Welten. Sie war in einer traditionellen Luo-Umgebung aufgewachsen, in der eine Frau nichts anderes von ihrem Mann verlangt, als dass er die Familie ernährt und die Kinder mit erzieht. Es wird nicht erwartet, dass der Mann für die Frau ein
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