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Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise

Titel: Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Auma Obama
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und der Gedanke daran, was aus mir geworden war, jagten mir Tränen in die Augen. Ich schwieg und ließ sie
laufen.
    »Auma, was ist los? Rede mit mir.«
    »Es gibt nicht viel zu sagen. Ich bin hier, habe die süßeste Tochter der Welt und einen Ehemann, der mich liebt und hart arbeitet. Was will man mehr?« Fast bei jedem Wort brach mir die Stimme.
    »Was will man mehr«, wiederholte Tsitsi auf ihre trockene Art. Ich fing wieder an zu weinen.
    »Viel mehr. Viel, viel mehr«, sagte ich leise.
    Ein paar Sekunden lang ließ sie mich einfach nur weinen. Dann sagte sie: »Ich habe etwas für dich. Deswegen rufe ich an.«
    Tsitsi erklärte mir, dass man in ihrer Heimat Simbabwe einen »African Screenwriters Workshop« , ein Seminar für afrikanische Drehbuchautoren plante. Die Organisatoren würden dazu junge, talentierte Filmemacher suchen, die Drehbücher schreiben wollten. Natürlich würde man nicht ohne Weiteres angenommen, sondern müsste sich für einen der wenigen Plätze bewerben.
    »Du musst es unbedingt versuchen. Ich weiß, wie gut du Geschichten schreibst«, sagte sie mit begeisterter Stimme, nachdem sie mit ihren Ausführungen fertig war.
    »Daran erinnere ich mich gar nicht mehr. Es ist schon so lange her. Ich weiß nicht, ob ich es noch kann …« Angst stieg in mir auf, ich war inzwischen so unsicher geworden, dass ich mir nichts mehr zutraute.
    »Auma, du hast so viel Talent. Wo ist die energiegeladene Frau geblieben, die ich in Berlin kennengelernt habe?« Tsitsi sagte noch vieles andere über mich. Sie rief mir eine Person in Erinnerung, die mir fremd geworden war.
    Schließlich fragte ich sie, was ich denn für dieses Projekt machen müsse. Ihre Erleichterung war selbst durch die Leitung zu spüren. Ohne eine Zusage meinerseits, hätte sie nicht aufgelegt, davon war ich nachträglich überzeugt.
    »Also, du hast nicht sehr viel Zeit und musst Folgendes tun …«
    Sie gab mir alle notwendigen Informationen und wies mich darauf hin, dass ich den Organisatoren möglichst bald ein Drehbuch zuschicken müsse.
    »Und, Auma!«, sagte sie zum Schluss. »Du brauchst keine Angst zu haben. Wirklich. Du musst nur schreiben. Und das kannst du. Ich bin mir sicher, dass du einen Platz bekommst.«
    Tsitsis Anruf war meine Rettung. Nachdem ich aufgelegt hatte, fühlte ich mich plötzlich weniger allein und verloren. Ich merkte, wie ich aufgeregt an die Möglichkeit dachte, zu dem Drehbuch-Workshop zugelassen zu werden.
    Ich rief Ian an und erzählte ihm, was man mir angeboten hatte.
    »Und wer soll das bezahlen?«, fragte er.
    »Die Veranstalter übernehmen alles. Das Ganze dauert zehn Tage.«
    Ian zögerte kurz, dann sagte er: »Vielleicht erhältst du tatsächlich einen Platz.«
    »Ich hoffe es sehr. Danke, Ian.«
    Hier bot sich nicht nur eine Chance für mich, sondern vielleicht auch für unsere Ehe.
     
    Die Reise nach Simbabwe war wie eine Auferstehung, so deutlich nahm ich wahr, dass ich einem besseren Ort und einer besseren Lebensphase entgegenging. Der Workshop war genau das, was ich brauchte. Ich hatte mich mit einem Drehbuch beworben, in dem die Jugend meiner Eltern im Mittelpunkt stand. Es schilderte, wie sie unter dem britischen Kolonialismus groß wurden und wie sie sich beide in der Zeit, als Kenia die Unabhängigkeit erlangte, ihrer Liebe zum Ballroomdancing hingegeben hatten. Die aus allen Ländern Afrikas stammenden Teilnehmer wie auch die Dozenten waren begeistert von meiner Geschichte.
    In dieser freundschaftlichen Atmosphäre konnte ich mich öffnen und mein altes Ich hervortreten lassen. Es war gleichsam eine Rückkehr ins Leben. Von Leuten umgeben, die an mich glaubten, obwohl sie mich kaum kannten, fand ich meine Energie, meinen Ehrgeiz und meine Lebensfreude wieder.
     
     
     
     
     

24
     
    Als ich an einem milden Frühlingsabend 1999 auf dem Flughafen von Gatwick das Flugzeug nach Harare, Simbabwes Hauptstadt, bestiegen hatte, konnte ich noch nicht ahnen, dass die bevorstehende Reise mich nicht nur vor dem Abgleiten in tiefe Verzweiflung retten sollte, sondern dass ich auf dem Rückweg meiner großen Liebe begegnen würde.
    Marvin saß auf dem Rückflug nach London in derselben Maschine wie ich. Er war spät an Bord gekommen und fiel mir erst auf, als er zwei Reihen aufrückte, weil er offenbar auf dem falschen Platz gesessen hatte. Auch ich hatte mich zuvor, da der Flieger ziemlich leer war, umgesetzt. Das Gesicht des Fremden hatte ich kaum gesehen, einzig sein Profil, das noch von einer

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