Das Leben kommt immer dazwischen: Stationen einer Reise
laufen, und ich hatte die Kunst des Mutterseins erlernt und fühlte mich nicht länger von meinen neuen Aufgaben überfordert und verunsichert. Und da ich Ian liebte, wünschte ich mir, dass unsere Ehe funktionierte. Um meine Anpassungsschwierigkeiten und meine Einsamkeit zu überwinden, beschloss ich, in die Arbeitswelt einzutauchen, um so eine sinnvolle Beschäftigung zu haben und Kontakte zu knüpfen.
Um Deutsch zu unterrichten oder irgendeinen Job beim Film zu bekommen war Bracknell nicht der geeignete Ort. Durch Akinyi war ich überdies gebunden und konnte nur selten nach London fahren. Zudem verkehrte ich schon lange nicht mehr in Filmkreisen und hätte mir erst ein Beziehungsnetz erarbeiten müssen. Also suchte ich nach anderen Perspektiven.
»Tut uns leid, aber Sie sind überqualifiziert«, sagte man mir immer wieder, bis ich endlich bei Boehringer Ingelheim, einer deutschen Firma, die Arzneimittel produziert, eine Stelle als persönliche Assistentin einer Einkaufsleiterin erhielt. In Bracknell hatte die Firma ihre englische Niederlassung.
Bis heute bin ich Gayle Reis dafür dankbar, dass sie mir die Möglichkeit gab, für sie Verwaltungsarbeit zu erledigen und damit aus dem Haus zu kommen. Im Großen und Ganzen war die Tätigkeit anspruchslos und eintönig. Aber Gayle, eine ältere, mütterliche Dame, war eine wunderbare Chefin und engte mich nie ein. Zudem verstanden wir uns sehr gut. Ich konnte mit ihr sogar über meine Einsamkeit reden, und sie ahnte wohl, dass Ian und ich uns langsam auseinanderlebten.
Bei Boehringer Ingelheim blieb ich nicht lange, da mein Vertrag nach acht Monaten auslief. Ich verließ die Firma schweren Herzens. Akinyi ging in dieser Zeit in den Kindergarten, den ich von meinem Gehalt bezahlte. Ein Platz war sehr teuer, was daran lag, dass diese Einrichtungen in England privat geführt werden. Jetzt verstand ich, warum so viele englische Mütter daheimblieben. Sie sahen vermutlich nicht ein, warum sie ihren gesamten Verdienst für einen Kindergartenplatz hergeben sollten.
Ich bewarb mich an der Universität von Reading, die ungefähr eine halbe Stunde von Bracknell entfernt liegt. Dort stellte man mich als freiberufliche Lehrkraft an. Einige Stunden in der Woche unterrichtete ich nun deutsche Literatur und Grammatik für Erstsemester. Aber das füllte mich nicht aus.
Unterdessen verschlechterte sich die Beziehung zwischen Ian und mir. Gemeinsamkeiten gab es kaum noch, unsere Gespräche kreisten nur noch um unsere Tochter, ihr Wohlbefinden, ihre Aktivitäten.
»Mach einfach irgendetwas«, sagte Ian oft, wenn ich darüber klagte, dass ich in unserer Ortschaft keine befriedigende Berufstätigkeit fand.
Aber ich wollte nicht irgendetwas machen. Er hatte mir einst helfen wollen, in England Filme zu machen. Aber davon war nicht mehr die Rede. Und ich war zu eigensinnig, um ihn an sein Versprechen zu erinnern. Irgendwie war ich nicht nur ärgerlich auf Ian, sondern auch auf mich selbst. Ich saß gewissermaßen in der Falle. Warum ist mir das passiert?, dachte ich vorwurfsvoll. Ich hätte es doch besser wissen müssen!
Irgendwann fügte ich mich resigniert in meine Mutter- und Hausfrauenrolle. Oft legte ich mich, nachdem ich die Kleine in den Kindergarten gebracht hatte, noch einmal ins Bett und stand erst wieder auf, wenn es Zeit war, sie abzuholen. Rückblickend kann ich sagen, dass ich damals mehr funktionierte, als dass ich lebte.
»Auma, bist du’s?« Das Klingeln des Telefons hatte mich aus dem Halbschlaf gerissen, in den ich wie so oft auch an jenem Vormittag gesunken war.
»Ja, wer ist dran?«, fragte ich verschlafen.
»Tsitsi.«
»Tsitsi?« Schlagartig war ich wach und setzte mich im Bett auf. »Tsitsi? Wie geht’s? Was gibt’s?«
»Ich habe lange nach deiner Nummer geforscht«, antwortete sie.
Tsitsi stammte aus Simbabwe und hatte wie ich in Berlin an der Filmakademie studiert. Ich war froh, eine befreundete Stimme aus der Vergangenheit zu hören. Wir tauschten uns darüber aus, was passiert war, seitdem wir uns nicht mehr gesehen hatten. Schon nach wenigen Sätzen wusste sie, dass mit mir etwas nicht stimmte.
»Was ist los, Auma? Du klingst so anders«, fragte Tsitsi besorgt.
»Mir geht’s gut.« Ich versuchte fröhlich zu klingen. »Wirklich!«
»Das glaube ich dir nicht. Ich hör doch, dass du mir was vormachst.«
Ihre Worte rissen einen Staudamm ein. Ihre vertraute Stimme, die durch sie erwachenden Erinnerungen an all das, was ich einmal gewesen war,
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