Das Leben meiner Mutter (German Edition)
werden.«
»Gelobt sei Jesus Christus!« murmelte die Klostermaierin und bekreuzigte sich. Alle taten dasselbe.
»In Ewigkeit, Amen!« dankte der Geistliche ebenso. Die Türe war wieder zugefallen, und draußen vor den Fenstern sah man den altersschwachen grauhaarigen Pfarrer über den Platz gehen.
»Ja, dann bin ich auch fertig!« meinte der Doktor, grüßte und ging. Sein an die Treppenlehne gebundenes Pferd scharrte ungeduldig. Er schwang sich auf das Wägelchen und fuhr davon.
»Herrgott, so schnell! So schnell!« raunte der Maxl benommen, rieb sich die Stirn und schaute verwirrt in die Gesichter rundum. Dann ging er zum toten Kastenjakl hinauf. Die niedere, enge, einfensterige Kammer war schon dämmerdunkel. Eine angebrannte Kerze auf dem vollgestellten, besudelten Nachttischchen verbreitete scheues Licht. Es warf unregelmäßige gelbe Flecke und Streifen und tiefdunkle Schatten über das schmutzige, bauschige Bett. Die stickige Luft benahm den Atem. In wüster Unordnung lagen auf dem Tisch und dem Boden Papiere und ausgeschüttete Häufchen von Tabakasche. Unter dem Bett stand der volle Nachttopf. Im Tintenzeug steckte noch der Federkiel, als habe sich der Kranke, von einem plötzlichen Unwohlsein befallen, mitten in der Arbeit erhoben und zu Bett gelegt. Der ganze schauerlich verwahrloste Raum glich eher der Höhle eines seltsamen Tieres als einer menschlichen Behausung. Ergriffen blieb der Maxl stehen und rang nach Luft. Endlich fand er die Kraft, die Türe zu schließen und trat an das Bett. Was da, tief in das Kissen versunken, sichtbar wurde, war kein menschliches Antlitz. Es war ein mit schütteren Haaren bewachsenes, totenschädelähnliches, häßlich grinsendes Affengesicht mit verzogenen Lippen und aufeinandergebissenen Zahnstumpen, welches Schauder und Abscheu erweckte. Den Maxl überrieselte es kalt, als er unbeabsichtigt mit seiner Handoberfläche mit dem steif herabhängenden, steckendürr abgemagerten nackten Arm in Berührung kam. Wie von Furcht und Ekel erfaßt, wich er ein wenig zurück und zog seinen Arm ein. Er warf noch einmal einen Blick auf das starre Gesicht des Toten, richtete sich gerade auf und schnaubte bedrängt. Wortlos schaute er in dem öden Raum herum, ging an den Tisch und überflog ein vollgeschriebenes Blatt, dessen großschriftige Buchstaben mit körnigem Streusand besät waren. Die letzten Sätze auf dieser halbvollen Seite schienen ihn plötzlich zu interessieren. Sie lauteten:
»Ist ja nach dem, was man uns von alters her angetan hat, gar nicht anders zu denken, als daß sich bei uns die Rachsucht gegen diese Menschensippschaft von einem auf den andern vererbt. Bis ins letzte Glied wird das gehen. Beim Maxl sieht man –«, da brach die Niederschrift ab. Der Maxl las einmal, zweimal, dreimal, und jetzt schien er aus dem niederdrückenden Bann zu erwachen. Er beachtete den Toten nicht mehr. Er raffte schnell alle Blätter auf Tisch und Boden zusammen, riß ein paar Bänder von den Unterhosen Kastenjakls ab, die auf dem Stuhl lagen, knüpfte sie zusammen und bündelte den Stoß Papier. Später kam er in die Wirtsstube hinunter und sagte zum Klostermaier: »Natürlich geht alles auf meine Rechnung, Doktorkosten und Eingraben. Sei bloß so gut und laß von den Papieren nichts wegwerfen, die der Kastenjakl droben hat. Hinterlassen hat er ja sonst nichts, aber was er da zusammengeschrieben hat, interessiert mich.«
Der Klostermaier versprach es, trug ihm auf, dem Berger Schreiner zu sagen, er sollte gleich den Sarg heraufschicken, und meinte zum Schluß, alles andere würden sie schon besorgen.
Ganz gefaßt kam der Maxl zu Hause an und berichtete den Seinen. Niemand war sonderlich traurig über diesen raschen Tod.
»So ungesund wie der gelebt hat«, meinte die Stellmacherin, »da hat er ja eingehen müssen.« Und sie murrte weiter: »Man hat ihm ja nie was sagen können! Bloß sein bockiger Eigensinn hat ihn so schnell ins Grab gebracht.« Die Kathl empfand es als besonders lästig, daß man jetzt wieder »das schwarze Gewand« für etliche Monate tragen müsse. Die Stellmacherin ging nach Aufkirchen, um dem Totenweib bei der Einsargung behilflich zu sein. Der Maxl verschloß die mitgebrachten Papiere im Mauerkasten ihrer Ehekammer.
Wie erwartet, kamen anderen Tags die Heimraths. Sie wußten schon, daß der Kastenjakl verstorben war, und dem Maxl war es sehr recht, als die Bäuerin vor der Besichtigung des Hauses gelassen sagte: »Naja, da kann man nichts machen!
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