Das Leben meiner Mutter (German Edition)
unverminderter sorgender Sparsamkeit und Geduld hatte sie bis jetzt den Haushalt geführt und überall Hand angelegt – der Maxl wünschte ihr noch etliche ruhige Jahre einer wohlverdienten Rast. Aber wie? Wie das alles machen?
Eine Familie, die den Vater verloren hat, unterordnet sich nur ganz selten der am Leben gebliebenen Mutter. Insbesondere wenn – wie bei den Grafs – die Geschwister bereits ausgewachsen sind und jedes seinen eigenen Willen hat. Da klafft der Zusammenhalt rasch auseinander. In einer solchen Familie rennen, solange nicht ein beherrschender Wille an Stelle des Vaters getreten ist, die Meinungen und Interessen fortwährend gegeneinander, und im Kleinen ist diese Gemeinschaft einem Staat nicht unähnlich, dessen gesellschaftliche Ordnung in die Brüche gegangen ist, der haltlos allen freigewordenen Kräften ihren Lauf lassen muß und gleichsam nur darauf wartet, bis irgend ein Teil dieser Kräfte zum Strom anschwillt und schließlich allen andern den Willen aufzwingt.
Der Maxl sah ein, daß sich nun nichts mehr hinausschieben ließ, wenn er gewinnen wollte. Die Oktobermitte brachte diesmal schon harte Fröste. Der Himmel hing farblos und düster über dem Land. »Lang wird der Schnee nicht ausbleiben heuer«, meinte die Stellmacherin einmal.
Die Herrschaften waren in der Mehrzahl schon in die Stadt gezogen. Der König residierte in einem seiner Gebirgsschlösser. Still ging es in Berg zu. Leicht bewältigte der Geselle die Bäckerarbeit. An einem kalten Tag, nach dem Mittagessen, machte sich der Maxl auf den Weg nach Aufhausen. Schon als er beim Heimrath zur Kuchltüre hineinkam, merkte er, daß sich die Bäuerin zu seinen Gunsten entschlossen hatte; trotzdem war er erstaunt, denn einen solchen, fast freundschaftlichen Empfang hatte er nicht erwartet. »Hock dich nur hin! Gleich kriegst du deinen Kaffee«, sagte die Heimrathin nach dem üblichen Gruß und stellte einen Teller voll Schmalznudeln auf den Tisch. Und gleich nachdem sie erzählt hatte, daß der Pfarrer die Heirat mit der Resl befürwortet habe, erklärte sie sachlich, was ihre Tochter in die Ehe mitbekomme: dreitausend Gulden, ein einjähriges Kalb und einen schönen »Kuchlwagen«. So nämlich wurde der festlich geschmückte Wagen mit der Aussteuer der Braut genannt, der am Hochzeitstag zum Haus des zukünftigen Ehemannes gefahren wurde. Während dieser Fahrt versperrten in einem fort Leute dem Wagen den Weg und gaben ihn erst frei, wenn etliche Geldstücke »gespendet« wurden.
»Ist’s dir recht so? Bist du zufrieden damit?« fragte die Heimrathin, und der Maxl, der nur schwer seine jäh aufquellende Freude verbergen konnte, antwortete glücklich nickend: »Freilich, Heimrathin! Das ist ja hochnobel! Das ist mir ja mehr als genug.«
Die Bäuerin war zufrieden.
»So, da hast du jetzt deinen Kaffee! Am Samstag oder in der nächsten Woche, sagt der hochwürdige Herr Pfarrer, könnt ihr zum Stuhlfest kommen«, meinte sie, stellte die dampfende Kaffeeschüssel hin, legte einen schwarzgeränderten, blechernen Suppenlöffel dazu, humpelte zur Türe und sagte wiederum: »Ich hol’ derweil die Resl!« Daraufhin ließ sie den Maxl allein. Der war so verwirrt, daß ihm nichts schmeckte. Um aber nur ja die Bäuerin nicht zu verstimmen, nahm er die Schüssel in beide Hände und wollte sie auf einmal austrinken. Der Kaffee jedoch war viel zu heiß. Der Maxl verbrannte sich Zunge und Gaumen, spuckte die braune Brühe hastig aus, stellte die schwankende Schüssel auf die besudelte escherne Tischplatte und wischte mit dem Schnupftuch die entstandenen Flecken von seinem guten Gewand und vom Tisch. Zitternd griff er nach einer Schmalznudel und würgte sie appetitlos in sich hinein.
»Resl! Resl!« hörte er die Bäuerin draußen schreien und führte, jedesmal vorsichtig pustend, einen Löffel voll Kornkaffee nach dem andern zum Munde. Ganz heiß wurde ihm dabei.
»Stuhlfest, hm! Schnell geht das!« brummte er dazwischen einmal halblaut. Als Stuhlfest bezeichnete man die übliche Belehrung, die der Geistliche einige Wochen vor der kirchlichen Ankündigung der Hochzeit den Brautleuten im Pfarrhaus gab. Sie galten nach dem Stuhlfest vor allen Leuten als Verlobte.
»Soll er schon reden! Ist ja sein Geschäft!« murmelte der Maxl abermals. Was brauchte er eine solche Belehrung. Er war Manns genug, um selber zu wissen, was seine Pflichten als Ehemann waren. Gewiß, er achtete die Gepflogenheiten des Glaubens, aber er nahm sie nicht ganz
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