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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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ob er aus Überdruß auf die Weise, daß er sich einfach nicht mehr aus der Tiefe erhob, seinem Leben ein Ende gemacht hatte, konnte nie aufgeklärt werden. Viele Jahre später erst taten die zwei Berger Fischer, der Lidl und der Kramer-Jakl, welche die königliche Leiche entdeckt und geborgen hatten, den Mund auf und sagten: »Sie ist vollgepumpt und aufgebläht gewesen wie ein Luftballon. Am Ufer, wie die Doktoren und Sanitäter Wiederbelebungsversuche gemacht haben, ist dem Toten nichts wie Seewasser wie ein Springbrunnen aus dem Maul gelaufen, fort und fort. Aber zum Leben ist unser Ludwig nicht mehr gekommen. Aus war’s für ewig mit ihm.«
    Die Bauernleute aus der ganzen weiten Pfarrei strömten zusammen und wallten in dichten Scharen zum Schloß hinunter. Drängend begehrten sie Einlaß, aber sie wurden heimgeschickt. Obgleich sie alle von einer ohnmächtigen Trauer niedergehalten waren, wurden sie schließlich doch rebellisch und stießen wüste Verwünschungen aus. Sie wichen erst, als das Tor aufging und eine berittene Abteilung ausgeschwärmt gegen sie heranrückte. Als der erregte Haufen sich bergan wälzte, fuhr – die Letzten sahen es noch – die geschlossene Kutsche der Kaiserin Elisabeth, die zu jener Zeit in Possenhofen weilte, in den Schloßhof. Sie, die einzige Freundin Ludwigs, machte den ersten Totenbesuch und blieb über eine Stunde im Gemach, in welchem man die Leiche notdürftig aufgebahrt hatte. Sie soll mit dem Toten wie mit einem Lebenden geredet, soll schließlich getobt und geweint und zerknirscht gebetet haben, und sie mied seit diesem Tage Bayern. Es kamen später noch einige Kutschen, unter anderen erschien aus Starnberg der preußische Gesandte von und zu Eulenburg. Erst am übernächsten Tage wurden die Landleute ins Schloß gelassen. In der hohen Vorhalle, die überreich mit Palmen, Blumen und Kränzen geziert war, auf einem Podest, der weit über mannshoch war, stand die Bahre des toten Königs. Einige Besucher, die die Treppen emporsteigen wollten, wurden zurückgewiesen. Niemand sah also die Leiche von Angesicht zu Angesicht, niemand aber beachtete auch nur einen Augenblick die in der Nähe aufgebahrte Leiche des Doktors von Gudden. Und weil dies so war, darum sagten die Berger noch Jahrzehnte lang, daß im königlichen Sarg Ludwig gar nicht gelegen habe, er sei vielmehr schwimmend über den See gekommen und entflohen, er lebe immer noch und werde eines Tages aus der freiwilligen Verschollenheit auftauchen, um ein verdientes, zerschmetterndes Strafgericht gegen seine hinterlistigen Widersacher abzuhalten. Das glaubten nach und nach alle treu anhänglichen Bayern. Sie warteten vergeblich.
    Am dritten Tag nach Pfingsten ging das Schloßtor weit auf. Reiter mit Trauerfloren auf den verhüllten Helmen trabten voran, dann kamen zwei prunkvolle Totenkutschen, in der prächtigeren lag der König, in der anderen von Gudden, eine kleine Schar hoher Würdenträger, fremde Geistliche folgten gesenkten Hauptes, den Beschluß bildete wieder eine düstere Abteilung von Reitern. Der stumme Zug nahm langsam die Richtung nach Oberberg zu. Rechts und links von der Dorfstraße knieten die Leute mit entblößten Köpfen und gefalteten Händen. Sie erhoben sich, nachdem Reiter und Wagen vorüber waren, und folgten laut betend. Niemand verwehrte es ihnen. Bis zum Anfang des Waldes außerhalb der Berger Feldgemarken gaben sie dem Toten das Geleit. Seltsam aber, trotz alledem konnte sich keiner von ihnen des bedrückenden Eindrucks erwehren, als hätten sie dem düsteren Zug eines Hingerichteten das Geleit gegeben. Als sie auseinandergingen, war jeder von ihnen benommen, und keiner sagte ein Wort …
    Wie der Maxl halbwegs vorausgeahnt hatte, so kam es. Die Berger Hofhaltung wurde aufgehoben, sang-und klanglos verschwand die Dienerschaft nach und nach. Nur die Gärtnerei blieb. Alle wertvollen Möbelstücke, darunter ein goldener Betstuhl des Königs, wurden auf höheren Befehl weggeführt. Das machte böses Blut im Dorf und in der Pfarrei. »Umbringen und ausrauben auch noch! Pfui Teufel!« schimpften die Leute ganz offen. Vom neu ernannten »Landesverweser«, dem Prinzregenten Luitpold, der bis zum Tode des geisteskranken Prinzen Otto die Regierung übernommen hatte, wollte kein Mensch etwas wissen, am allerwenigsten die Berger. Die waren froh, daß er sich nie bei ihnen sehen ließ. »Windiger Erbschleicher« war das mildeste Schimpfwort, mit dem sie ihn belegten.

Ende und Anfang
    Auf den

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