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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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beständig mit wachen Augen herumsah und das, was ihm zustieß, ebenso abwog wie jenes, was in der großen Welt vorging, er konnte mit einigem Recht so reden. Daß kein König mehr da war, das hatte seinem Geschäft nicht im geringsten geschadet, im Gegenteil: seitdem das Schloß, das unbewohnt blieb, samt dem großen Park gegen geringes Eintrittsgeld dem allgemeinen Besuch zugänglich gemacht worden war, besuchten im Sommer eine Unmasse Fremder und romantische König-Ludwig-Verehrer Berg. Das Dorf profitierte davon und blühte jetzt noch zu einem weit zahlreicher besuchten Fremdenort heran. Die Erinnerung an den König blieb zwar wach in den Bergern, aber langsam fanden sie, daß dessen Tod doch einen großen Segen gebracht hatte. Ihre guten Kammern waren jeden Sommer vermietet. Die Wiesenflächen am See-Ufer stiegen beträchtlich im Wert. Herrschaften, die sich Villen bauen ließen, bezahlten für solche Grundstücke nie geahnte Preise. Mancher Berger wurde dadurch auf leichte Weise mehr als wohlhäbig. An den sonnigen Sonn- und Feiertagen brachten die Dampfschiffe Hunderte von Sommerfrischlern und Touristen an die Ostufer des Sees, und jedes Wirtshaus, alle Hotels waren dicht besetzt mit Gästen. Niemand gewann dabei mehr als der Maxl. Er mußte hin und wieder lächeln über den Hoflieferanten-Titel, der ihm seinerzeit angeboten worden war. Er brauchte ihn nicht mehr, und überdies: Titel hatten seit jeher für ihn etwas Lächerliches gehabt. Er schätzte den Menschen nach seiner Leistung ein. Nur sie erschien ihm als das rechte Maß seines Wertes. Er selber war einzig und allein durch seine hartnäkkige Tüchtigkeit zu dem geworden, was er immer sein wollte: ein Geschäftsmann, dem man vertraute, ein allgemein beliebter Mensch, ein geachteter Bürger. Dieses bienenfleißige, rechtschaffene Bürgertum gab seiner Meinung nach der Welt das Gesicht und dem Staat die Bedeutung – nicht die Oberen, die Regierenden.
    Auch im Bäckerhaus änderte sich in diesen Jahren allerhand: Maxls Bruder Lorenz heiratete endlich seine Geltingerin, arbeitete aber immer noch beim Rambeck in Starnberg, schlief die Woche über in Berg und ging nur jeden Samstag heim nach Gelting, um sein verdientes Geld abzuliefern. Sein Weib achtete sehr darauf und nützte die Gutmütigkeit des Lorenz weidlich aus. Er schien stets froh zu sein, wenn er am Montag wieder nach Berg kam, und war hier gern gesehen. Die Kathl hauste hinten im Häusl mit ihrem inzwischen vier Jahr alt gewordenen Söhnchen Lorenz, den man »Lenzl« hieß. Ihre erste Tochter, die Marie, war gottlob schon so weit, daß sie, wenn die Magd zuviel Arbeit hatte, für sie Brotfahren konnte.
    Der Maxl lebte nun geruhiger dahin. Er las jeden Tag die Zeitung, die er abonniert hatte, und äußerte sich oft über die politischen Ereignisse. Dabei hörte ihm allerdings nur der Schmalzer-Hans, der gewöhnlich etliche Gläser Kornschnaps trank, mit einigem Interesse zu und erwiderte auch manchmal etwas darauf.
    Die Zeit war bewegter, als mancher es glauben wollte. Im Reichstag wurde um die Aufhebung des Sozialistengesetzes gekämpft. Der alte Kaiser Wilhelm war gestorben, und sein Sohn, Kronprinz Friedrich, der schon lange an einem Kehlkopfkrebs litt, regierte nur ganze neunundneunzig Tage. Seither saß der äußerst laute, wortreiche junge Wilhelm II. auf dem Berliner Kaiserthron, und Bismarck vertrug sich nicht mehr mit ihm. Die Zeitungen berichteten über allerhand Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Monarchen und seinem Kanzler, und was unmöglich geschienen hatte, traf plötzlich ein. Bismarck, der Mann, dem bisher kein Gegner gewachsen gewesen war, er, den seine Bewunderer den »eisernen« genannt und seine Feinde tausendmal verflucht hatten, der Kanzler, auf den die Welt hörte, mußte weichen. Eines Tages verbreitete sich die Nachricht von seiner unerwarteten Abdankung.
    »Ja, Herrgott, hm! Geht’s denn gegen jeden reellen Menschen! Das schaut ja aus, als ob sie’s da droben mit dem Bismarck genau so machen möchten wie mit unserem Ludwig!« polterte der Maxl, warf die Zeitung hin und erzählte dem Hans wieder einmal, wie er im Kriege, als Verwundeter auf einem Leiterwagen, den vorüberreitenden großen Kanzler gesehen habe.
    »Ein Mensch, sag’ ich dir! Durch und durch kein Kriecher! Der hat dich angeschaut von oben bis unten, fest und offen! Wenn wir den verlieren, wer weiß, was da alles passiert!« rief er und schimpfte über den jungen Kaiser, der noch nicht einmal

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