Das Leben meiner Mutter (German Edition)
mit euch! Was gibt’s da zu gaffen!« Erschrocken verschwanden die Angerufenen, aber sie lugten insgeheim fortwährend durch die trüben Fenster. Zwei-oder dreimal sausten dunkle Kutschen vorüber und rollten in den Schloßhof. Gegen Abend kam in jedes Berger-Haus ein höherer Polizeibeamter mit zwei Gendarmen. Sie verlangten nach dem Familien-Oberhaupt, und der hohe Herr sagte befehlsmäßig: »Ab heute ist es verboten, nach Einbruch der Dunkelheit die Straße zu betreten, Besuche zu machen oder sich in Wirtshäusern aufzuhalten! Bei Tag darf niemand sich in der Nähe der Schloßmauern oder oben am Parkzaun sehen lassen. Das ist streng untersagt, verstehen Sie?!«
Wortlos, staunend und betreten hörten es sich die Berger an. In jeder Stube, ja sogar in den Schlafkammern wurde noch lange raunend gesprochen und gerätselt, was denn das alles zu bedeuten habe. Plötzlich – es war in der dunkel verregneten Freitagnacht vor Pfingsten – vernahmen die Dörfler ein dumpfes, jagendes Wagenrollen und Pferdegetrappel, und einige, die aus dem Bett sprangen und zum Fenster hinausspähten, konnten undeutlich die königliche und noch eine Kutsche erkennen, begleitet von Reitern. Am andern Tag dachte niemand mehr an regelrechte Arbeit. Die Nachbarn sahen einander fragend und bang in die Augen und flüsterten sich zu: Der König sei wieder im Schloß – aber als Gefangener! Der Schmalzer-Hans kam zum Maxl und berichtete vorsichtig: »Schauderhaft! Schauderhaft! Sagen tut man, der König ist narret! … Von der Stadt sind Doktoren da! Die Majestät ist eingesperrt wie ein gefangener Vogel! Ja, hm, kann’s denn so was geben? So was! Unser armer, guter Ludwig!«
Im Dorf tauchten überall Gendarmerie-Patrouillen auf. Feindselig und drohend sahen sie aus mit ihren umgehängten Karabinern. Mit bösen Blicken verfolgten sie die Leute. Die Kinder liefen erschreckt vor ihnen davon. Eine seltsame Lautlosigkeit, ein stummer Druck durchzog Berg. Jeder Mensch war eingeschüchtert und empört, und in mancher Stube schimpfte einer: »Ja, Herrgott, muß man sich das gefallen lassen? Das Maul soll jeder halten, und unsern König wollen sie wegräumen?! Ganz insgeheim wollen sie ihn umbringen wie einen Lumpen! Diese Sippschaft! Gift wollen sie ihm einfach geben, die Lumpen, die windigen!« Viele Gerüchte kamen auf und machten die Runde. Zum Rosenkranzbeten kamen am Samstag fast alle Leute der Pfarrei. Zwar leierten sie die üblichen Gebete und Litaneien nicht anders als sonst herunter, aber kein Mensch hatte die rechte Andacht. Später, vor der Kirche und beim Klostermaier in der Wirtsstube, wurde erzählt, daß die Gebirgler aus dem Schwangau rebelliert hätten, dabei habe es verschiedene Tote gegeben, und jetzt, hieß es, würden die Gebirgsbauern scharenweise gen Berg ziehen, um für den guten König einzustehn.
Der Jani-Hans fehlte jetzt. Ihn deckte schon seit etlichen Jahren die Erde. Er hätte wohl auch diesmal das richtige, anspornende Wort gefunden. Ein verhaltener Kampfgeist brodelte in den Leuten. Kühn und laut plärrte der Daiser-Hans, der diesmal nicht im mindesten zum Spaßmachen aufgelegt war: »Herrgott, Männer! Wir haben siebenzig und einundsiebzig mitgemacht und keine Kugel geforchten, und jetzt, wo’s gegen unsern König geht …«
»Psst! Pscht! Gendarmen kommen! Psst, um Gottes willen!« rief der Klostermaier, und jäh schwiegen alle. Die Türe der verrauchten Stube ging auf.
»Auseinander gehen! Gehts heim! Schluß machen!« rief ein fremder Oberwachtmeister, und die Helme hinter ihm blitzten im trüben Schein des Petroleumlichts. Aller Augen hefteten sich auf die Uniformierten.
»Herr Klostermaier, lassen Sie zahlen! Höchster Befehl!« wiederholte der Oberwachtmeister trocken, und in hastiger Unruhe kam der Wirt dem nach. Brummend und zähneknirschend gingen die Leute an den wartenden Gendarmen vorüber und stapften in den dunklen Regen hinein.
Der Pfingstsonntag brach an. Vollzählig wie nie wanderten die Männer, Weiber und Kinder dem Pfarrdorf zu. In Berg sollte – so sprach sich herum – eine Messe in der kleinen Kirche stattgefunden haben. Sie war aber noch gestern abend abgesagt worden. Einige wollten wissen, daß der König den Wunsch geäußert habe, dieser Stillen Messe beizuwohnen. Man habe es ihm aber versagt. Jeder Mensch war voll Grimm. Alle warteten gespannt, ob denn der sonst so offenherzige, derbe Pfarrer Klostermaier nicht irgendeine Bemerkung über die schändlichen Ereignisse im
Weitere Kostenlose Bücher